Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge

23.06.2024 11:41 (zuletzt bearbeitet: 23.06.2024 11:56)
#1 Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge
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Guten Morgen!

Neulich wurde ich per PN nach den „Eilgüterzügen“ gefragt – ein Aspekt des Güterverkehrs über den man im Netz recht wenig (und auch viel irreführendes) findet. Dazu habe ich etwas aufgeschrieben und stelle es, da vielleicht von allgemeinem Interesse, gerne hier zur Verfügung.

Im folgenden gehen wir auf die Verhältnisse ein wie sie in der Bundesrepublik, also der DB und bei den angeschlossenen NE-Bahnen, in den Epochen 3 und 4 bestanden. Vor dem Krieg bei der DRG und in der DDR mag es ähnlich gewesen sein.


1. Die „schwarzen“ Frachtenzüge

Das (wie man heute sagen würde) „Basisangebot“ der Eisenbahn war der normale Einzelwagen- und Stückgutverkehr. Damit beförderte Wagen, egal ob es jetzt Wagenladungen oder Stückgutwagen waren, hießen „Frachtgutwagen“. Befördert wurden sie mit dem flächendeckenden Netz von „Frachtenzügen“, also den gewöhnlichen Durchgangsgüterzügen (Dg) für weitere Entfernungen und Nahgüterzügen (Ng) und Übergaben (Ü, Üs, später Üg) für den Nahbereich. Die Frachtenzüge wurden auch als „schwarze“ Züge bezeichnet, warum wird später deutlich.

Nun ging die Beförderung mit den Frachtenzügen zwar stetig, aber nicht unbedingt besonders schnell vor sich. Bis 1970 fuhren Dg und Ng üblicherweise mit einer Höchstgeschwindigkeit von 65 km/h, was ursprünglich auch die Höchstgeschwindigkeit vieler älterer Güterwagen war. 1970, als die meisten alten Wagen ausgeschieden waren, erhöhte sich die Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h.

2. Vorrangwagen

Auch der Übergang von Frachtgutwagen auf einen weiterbefördernden Zug konnte stocken. Wenn ein Wagen vom Ng in einem Rangierbahnhof abgeliefert wurde, der weiterführende Dg aber schon „voll“ war (also: maximale Zuglast erreicht) musste der Wagen halt auf den nächsten Zug warten. Je nach Zugdichte auf der Verbindung konnte der schon drei Stunden später oder auch erst am nächsten Werktag verkehren.

Übrigens zur "Taktfrequenz" der Durchgangsgüterzüge: die hing natürlich vom Verkehrsaufkommen ab. Typische Zugdichte zwischen benachbarten Rangierbahnhöfe war 3 Dg-Paare am Tag, also etwa alle 8 Stunden (z. B. Bremen - Löhne). Stark nachgefragte Verbindungen konnten auch 8 Dg-Paare am Tag aufweisen, also alle 3 Stunden (Bremen - Hamm, Bremen - Seelze). Wenig nachgefragte Verbindungen auch nur 1 Dg-Paar am Tag (Bremen - Kassel).

Wenn ein Zug „voll“ war und Wagen zurückbleiben mussten gab es übrigens „Vorrangwagen“ die bevorzugt zu befördern waren, und dafür hatte die Bundesbahn zwei Vorrangregeln definiert:

1) Stückgutwagen hatten Vorrang gegenüber Wagenladungen.
2) Verfügte Leerwagen (die also auf dem Weg zu einem Versandbahnhof waren und dort erwartet wurden) hatten Vorrang gegenüber bereits beladenen Wagen.

Die Beförderung eines Frachtgutwagens quer durch die Bundesrepublik konnte je nachdem „im Nachtsprung“ geschehen oder auch 5-6 Tage in Anspruch nehmen. Besonders prekär wurde dies in der Zeit der Hochkonjuktur ab Ende der 1960er bis zum Beginn der Ölkrisen 1973 als die Bundesbahn von allem zu wenig hatte (Loks, Güterwagen, Personal, freie Fahrplantrassen...).

3. Eilwagen

Logischerweise bestand bei den Güterverkehrskunden ein Bedarf bestimmte Sendungen schneller und zuverlässiger zu befördern als mit normalen Frachtgutwagen, und dafür bestand die Möglichkeit eine Sendung als „Eilgutwagen“ zu versenden. Dabei muss man jetzt nicht gleich an die berühmten Seefischkühlwagen denken (die kommen später noch bei den Schnellgüterzügen), es kann sich um alle mögliche „eiligen“ Frachten handeln die zeitnah beim Kunden ankommen sollen. Quasi das "Amazon Prime" der Bonner Republik...

Der Versand als Eilgutwagen war natürlich gegenüber dem „normalen“ Frachtgutwagen teurer. Erkennen konnte man Eilgutwagen äußerlich am Hauptzettel (dem Papier das außen am Wagen eingeklemmt ist), der war durch eine rote Umrundung erkennbar; man sprach auch gerne von den „roten“ Wagen.



4. Die „roten“ Eilgüterzüge

Eilgutwagen liefen zunächst mal in den regulären Frachtenzüge mit, genossen aber gegenüber allen anderen Wagen Vorrang, wurden also immer bevorzugt mitgenommen. Auf Verbindungen mit hinreichend großem Aufkommen wurden auch besondere Eilgüterzüge eingesetzt: das waren auf Fernverbindungen die Durchgangseilgüterzüge (De). De fuhren bereits in der Epoche 3 eine Höchstgeschwindigkeit von 80km/h, ab 1970 100 km/h, und hatten Vorrang gegenüber Frachtenzügen; der normale Dg musste also schon mal „auf die Seite“ um einen De überholen zu lassen. Eilgüterzüge wurden umgangssprachlich als „rote Züge“ oder das „rote Netz“ (im Gegensatz zum "schwarzen Netz der Frachtenzüge) bezeichnet, und die Seiten des Güterkursbuches mit den Eilgutverbindungen waren auf rotem Papier gedruckt.

Oft hatten De auch längere Laufwege und weniger Umstellbahnhöfe. Ein Frachtgutwagen der in den 1970ern z. B. von Bremen nach München lief fuhr zunächst mit einem Dg von Bremen Rbf bis Seelze Rbf, mit einem zweiten bis Würzburg Rbf, erst mit dem dritten Dg bis zum Rangierbahnhof München-Laim; diese Fahrt dauerte mindestens zwei Tage. Für Eilgutwagen gab es dagegen durchgehende De von Bremen nach München so dass die Beförderung im Nachtsprung möglich war.

Für die Sammlung und Verteilung im Nahbereich existierten mitunter Naheilgüterzüge (Ne). Die gab es nicht überall, nur auf Strecken mit ausreichend hohem Eilgutaufkommen (das konnte aber durchaus auch auf Nebenbahnen vorkommen). Und da wo es sich anbot oder Sinn machte zog man auch Reisezüge zur Beförderung von Eilgutwagen heran – das wurde aber mit Auslaufen der Epoche 3 immer seltener. Auf Strecken ohne rote Züge mussten die Eilgutwagen natürlich wieder mit den regulären „schwarzen“ Zügen mitfahren.

5. Eilgüterbahnhöfe

In größeren Eisenbahnknoten geschah die Behandlung der Eilgüterzüge vielfach nicht in den normalen Rangierbahnhöfen sondern in besonderen „Eilgüterbahnhöfen“. In Bremen etwa händelte der Rangierbahnhof im Stadtteil Gröpelingen die normalen Frachtenzüge, die De und Ne wurden im Hauptgüterbahnhof behandelt. Zwischen Rbf und Hgbf pendelten in dichtem Takt Übergaben für Wagen zwischen „rotem“ und „schwarzen“ Netz umsteigen mussten. Ähnliches in Hannover, neben dem großen Rangierbahnhof Seelze westlich und dem Rangierbahnhof Lehrte östlich der Stadt existierte der Eilgutbahnhof Hannover-Linden. Andernorts geschah die Behandlung der Eilgüterzüge übrigens auch (modellbahngerecht) in kleineren Stadtteil- und Vorortbahnhöfen.

Soweit was mir als Schnellschuss zum Thema einfiel. Falls Interesse besteht könnte ich noch etwas zu Schnellgüterzügen/TEEM und Expressgut ergänzen. Auf meiner eigenen Anlage lasse ich übrigens auch (sehr dosiert) Eilgutwagen laufen um den Güterverkehr etwas aufzupeppen.

Viele Grüße,
Sebastian


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23.06.2024 13:56 (zuletzt bearbeitet: 23.06.2024 14:16)
#2 RE: Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge
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Noch ein Nachsatz, weil es eigentlich mit dazugehört.

6. Beförderungsplanwagen

Auch beim Eilgutwagen konnten Dinge schiefgehen wenn Züge verspätet waren, das Rangieren länger dauerte oder ein Eilgüterzug wegen Überlast Wagen zurücklassen musste. Die Beförderung dauerte halt solange wie sie dauerte, zwar schneller als beim Frachtgutwagen aber trotzdem war die Ankunftszeit nicht garantiert.

Um auf Nummer sicher zu gehen konnte man einen Beförderungsplan bestellen. Dann arbeitete die Güterabfertigung für den Wagen einen richtigen Fahrplan aus in dem genau festgelegt wurde mit welchen Zügen der Wagen zu befördern ist, das stand dann auch auf dem Laufzettel: "Ab Bremerhaven-Geestemünde 18.45 Uhr mit De 51262, ab Hannover-Linden 22.10 Uhr mit De 53428..." Dabei wurde eine bestimmte Ankunftszeit durch die Bahn garantiert.

Besonders typisch war das für Exportgüter zu den Seehäfen die z. B. in Hamburg, Bremen oder Bremerhaven eine bestimmte Schiffsabfahrt erreichen mussten.

7. Sonderplanwagen mit Laufüberwachung

Wenn auch das nicht genügte kam noch die Laufüberwachung hinzu. Dann wurde der Lauf des Wagens von einer zentralen Stelle aus live mitgeplottet - in den späten Bundesbahnjahren machte das die zentrale Transportleitung in Mainz, früher mag es anders gewesen sein. Dort verfolgten die zuständigen Beamten den Lauf des Wagens (Meldung über Fernschreiber oder BASA). Und wenn etwa ein Wagenübergang wegen Verspätung gefährdet war konnte angeordnet werden dass der Anschlusszug warten muss, oder es wurde sogar eine Sonderfahrt eingelegt.

Ein leider verstorbener Nienburger Lokführer berichtete mal davon wie er sonntags zu Hause im Bereitschaftsdienst alarmiert wurde. Er fuhr zum Bahnhof, rüstete eine übers Wochenende abgestellte E41 auf. Ein Eilgüterzug hielt außerplanmäßig und setzte einen Sonderplanwagen (der wohl fehlgeleitet wurde) ab den mein Bekannter mit der E41 als Sonderzug (ein Wagen!) via Verden - Rotenburg nach Hamburg-Süd brachte.

Über die alte Bundesbahn wird ja gerne gelästert, aber solche Sachen hatte sie wirklich drauf. Heute ist diese Flexibilität ziemlich undenkbar.

Hier gibt es einen sehr nett gemachten Lehrfilm der DB: https://www.youtube.com/watch?v=tOfRD0qa4EY Ab 21:50 wird ein Vorgang geschildert bei dem es nebenbei um einen Wagen mit Beförderungsplan geht. Der Rest des Films ist aber auch interessant, da geht es um Stückgutverkehr.

Grüße,
Sebastian


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23.06.2024 19:31 (zuletzt bearbeitet: 23.06.2024 19:35)
#3 RE: Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge
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Ok, dann mal vom Eiligen zum Schnellen...

8. Schnellgüterzüge

Aus der Bezeichnung kann man schon rauslesen dass es sich bei den Schnellgüterzügen (Sg) um eine Gattung handelte die eben noch schneller als die eiligen Eilgüterzüge war, Höchstgeschwindigkeit 100, später 120 km/h.

Klassiker waren die "Fischzüge": die starteten am späten Nachmittag von Bremerhaven bzw. Cuxhaven mit Kühlwagen und beeisten G-Wagen um im Nachtsprung die verderbliche Ware zum Kunden zu bringen bevor sie zu stinken beginnt. Ein bekannter Fall aus der ausgehenden Dampflokzeit ist der berühmte Sg 5321 der mit E-Lok von Bremerhaven-Fischereihafen bis Würzburg verkehrte, dort Wagen absetzte und dann mit zwei Dampfloks (BR23 und BR50) über Lauda nach Heilbronn fuhr; Von Heilbronn wurden die Wagen dann zu verschiedenen Zielen in Südwestdeutschland weiterbefördert.

Ähnliche Verbindungen gab es auch für Obst- und Südfrüchte, dafür war München-Süd der große Knoten- und Verteilbahnhof. Viele Sg-Verbindungen dienten aber vor allem dem Post- und Expressgutverkehr (die ja beide nicht im engeren Sinne zum Güterverkehr zählen).

Während jedoch die Eilgüterzüge stets ein zusammenhängendes, im Prinzip flächendeckendes Netz bilden (wie ja auch die Frachtenzüge) verkehrten die Sg nur auf einzelnen, ausgewählten Verbindungen - so etwas wie "Nahschnellgüterzüge" gab es nicht. Die Sg nahmen stets nur Wagen mit die für den jeweiligen Zug explizit zur Beförderung vorgesehen waren. Ein paar gute Beispiele finden sich auf der DB58-Seite: https://db58.de/2021/10/13/sg-5505-kassel-hbf-hamburg-hbf/

Anhand der Zugbildungspläne sieht man schon was dort dominiert: Post- und Expressgutwagen, auch schnelle Ladearbeiten beim Halt am Bahnsteig sind vorgesehen. Damit kann man sich auch schon die Zugbildung denken: Gepäck- und Postwagen, schnelllaufende G-Wagen... Und auch schnelle Loks wurden gebraucht. Zu Dampfzeiten wurden schon mal 01, 01.10 oder 03 davor eingesetzt. Im E-Betrieb war die Baureihe 151 mit ihren 120km/h Höchstgeschwindigkeit eine klassische Lok für Schnellgüterzüge, und selbst die 103er, die ja tagsüber im IC-Verkehr liefen, waren nachts mit Schnellgüterzügen auf der Piste.

Als die Containerwelle um 1966 nach Deutschland schwappte schlug wieder die Stunde der Schnellgüterzüge. 1968 richtete die DB ein Netz von Containerschnellverbindungen ein, vor allem von den Seehäfen Hamburg und Bremerhaven zu neu errichteten Containerterminals im Binnenland - wobei diese Terminals aus heutiger Sicht sehr provisorisch und klein wirken (modellbahngerecht?). Diese Züge wurden, ebenso wie die gleichzeitig auftauchenden Züge für LKW-Auflieger und andere Wechselbehälter, betrieblich ebenfalls als Schnellgüterzüge geführt; eigene Zuggattungen schuf man dafür erst später.


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23.06.2024 22:37
avatar  Gilpin
#4 RE: Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge
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Hi @Sebastian ,

das interessiert mich ganz besonders:

Zitat
Klassiker waren die "Fischzüge": die starteten am späten Nachmittag von Bremerhaven bzw. Cuxhaven mit Kühlwagen und beeisten G-Wagen um im Nachtsprung die verderbliche Ware zum Kunden zu bringen bevor sie zu stinken beginnt.

Die Nordsee war eine Art genossenschaftlicher Ansatz zur Versorgung der Bevölkerung mit preiswerten Lebensmitteln, und in ihrer Vertriebsstrategie hatte München eine herausragende Bedeutung. Vielleicht dazu einmal mehr,

bis dahin,
Reiner

Schöner thread, by the way!


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24.06.2024 15:14 (zuletzt bearbeitet: 24.06.2024 18:03)
#5 RE: Über Eilgutwagen und Eilgüterzüge: Fischzüge
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Ich habe da noch was:

Beste Grüße
Dirk

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24.06.2024 23:54
#6 RE: Sonderplanwagen
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Hallo Sebastian

Danke für die interessanten Auffrischung. Davon war vieles wieder Verschütt gegangen.

Solch einen explo...exklusiven Sonderplanwagentransport hatte ich auch mal und zu der Zeit gab es wohl noch zu viele Bundesbahner bei der quasi gerade erst geschlüpften AG.
Die Geschichte hatte ich mal zum zehnten Jahrestag fürs Hifo zusammengefasst und gerade stelle ich fest, dass es bald noch zwanzig Jahre länger her ist...

Der buchhalterische Verdienst aus diesem Wagentransport, dürfte jetzt nicht so berauschend gewesen sein, aber er ist unbeschädigt angekommen. ;-)

Beste Grüße aus der umrundeten Gegend

Michael


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