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VGH-Getreideverkehr mit V36 in den 1990er Jahren
Hallo!
Meine „Heimatbahn“, die Verkehrsbetriebe Grafschaft Hoya (VGH) war hier schon mehrfach Thema (Papierfabrik und Co.) und wird demnächst im ADJ auftauchen. Die VGH bot (und bietet noch heute) ganz viel Inspiration für kleinteiligen und interessanten Güterverkehr. Den heutigen, schönen und heißen Hochsommertag möchte ich zum Anlass nehmen eine selbst erlebte „olle Kamelle“ von Ende der 90er wiederzugeben.
Der Güterverkehr der VGH war damals erschreckend schwach, so rund 10-15.000 t pro Jahr, und konnte meist mit einer Köf erledigt werden. Die letzte betriebsfähige V36 wurde nur selten hervorgeholt wenn Militär- oder Düngerzüge zu fahren waren. Aber einen echten Saisonverkehr gab es noch, nämlich die Getreideernte von Mitte Juli bis Anfang September: In dieser Zeit beluden die Genossenschaften in Bruchhausen-Vilsen und Heiligenfelde täglich so 20-25 Tdgs-Wagen mit Getreide das meist zu einem Mühlenbetrieb in Drentwede ging, und diese hohen Zuglasten erforderten natürlich einen V36-Einsatz.
Während sonst meist im Einmannbetrieb gefahren wurde brauchte man für die V36 auch einen Rangierleiter, und angesichts der geringen Personaldecke war dies die Gelegenheit für einige junge Museumseisenbahner mal bei der „echten“ Eisenbahn mitzumachen und nebenbei etwas Geld zu verdienen. Einige Kollegen (Studenten) haben das in den Semesterferien über Jahre gemacht, gelegentlich konnte ich (Schüler, gerade 18 geworden und zum Rangierleiter geprüft) aber auch aushelfen.
Die Tage begannen morgens in Hoya wo im alten HEG-Lokschuppen von 1912 (baufällig und längst abgerissen) die V36 005 aufgerüstet wurde. Auch das schon kein Vergnügen: während der Lokführer den Motor durchsah und schmierte durfte der Jungrangierer in die klaustrophbisch enge Untersuchungsgrube steigen und die Achslager schmieren, unter einem Dreck und Ölbindemittel vieler Jahrzehnte. Dann Schuppentor auf, Öldruck vorpumpen (mit einer Handpumpe vorne rechts am Motorvorbau) und Anlassen des Motors mit Druckluft, worauf in dem engen Schuppen ein Höllenlärm ausbrach. Aus dem Schuppen wurde auf die Drehscheibe vorgezogen, eine Handdrehscheibe („Armstrong-Type“), und zu zweit die Lok gedreht. Hier hieß es wieder aufpassen, auch die Drehscheibe war abgesackt und beim Drehen musste ein „Loch“ mit Schwung durchfahren werden, ansonsten wäre wohl ein THW-Einsatz fällig gewesen um die Lok wieder rauszubekommen...
Na gut, das war geschafft. Im „mittleren“ Bahnhofsteil (der Zufahrt zur Ortsgüteranlage) standen 20 Tdgs-Wagen, bereits am Vortag beladen, die nun in Eystrup an die DB zu übergeben waren. Mit der Lok runter, Wagen anhängen, Bremsnprobe, Schlussscheibe drauf, Wagenliste schreiben und bergauf ins Hauptgleis schieben, und Abfahrt nach Eystrup.
In Eystrup stand bereits die DB-Übergabe aus Nienburg (mit funkferngesteuerter V60) und hatte uns bereits 20 neue Leerwagen ins VGH-Hauptgleis gestellt. Unsere mitgebrachten Ausgangswagen ins Übergabegleis geschoben, zurück an die frischen Leerwagen, anhängen, Bremsprobe, Wagenliste, Schlussscheibe aufstecken (letzteres habe ich immer gemacht, aber in den Augen der älteren Kleinbahner war man damit ein „Streber“...). Schließlich noch ein kurzer Schnack mit dem DB-Kollegen, der war auch nicht ganz glücklich, seine V60 wird mit dem schweren Getreidezug die 20 km bis Nienburg ihre Mühe haben.
Und los ging die Fahrt. Als Eisenbahnfreund natürlich ein tolles Erlebnis, aber auch nicht wirklich komfortabel. Der V36-Führerstand war im Hochsommer ein Backofen, es wr sehr laut, und Richtung Syke hatte man den Motorvorbau voraus: an jedem der zahlreichen nicht-technisch gesicherten BÜ mussten Lokführer und Rangierer sehr konzentriert den Straßenverkehr beobachten und auf unvorsichtige oder mutige Autofahrer achten, was Ende der 90er ein sehr großes Problem war, BÜ-Unfällen kamen damals ständig vor. Über Hassel, die Weserbrücke, Hoya (dort Blinklicht-BÜ der Bücker-Straße einschalten), Hoyerhagen und Bruchhausen-Ost wurde nach einer knappen Stunden Bruchhausen-Vilsen erreicht.
Dort war der Bahnhof bereits im Umbau zum Gemeinschaftsbahnhof Normalspur-Schmalspur begriffen: das früherer Ladestraßengleis 3 war jetzt durchgehendendes Hauptgleis der VGH, und das (wieder dreischienige) Bahnsteiggleis 1 wurde im Sommer für die Getreideverladung genutzt wofür vom Silo ein Ausleger mit Verladestutzen über den Bahnsteig ragte. Die Raiffeisenleute konnten die Wagen dann jeweils nach Beladung per Schwerkraft rund 100m Richtung Hoya kullern lassen (der ganze Bahnhof hat ein leichtes Gefälle) und dann den nächsten Tdgs unter die Verladeanlage, und so weiter bis der ganze Zug beladen ist. Am Hoyaer Ende von Gleis 1 standen auch schon die beladenen Wagen vom Vortag, aber die mussten erst auf der Rückfahrt mitgenommen werden.
Also: die ersten 10 Leerwagen abghehängt, Richtung Syke vorgezogen, dann zurück nach Gleis 1 und den ersten Wagen genau unter der Verladeanlage parken und mit Hemmschuh sichern (aber nur ganz sachte, die Genossenschaft muss den ja ohne Hilfe der Lok wieder rauskriegen). Lok zurück an den Zug, Bremsprobe und weiter.
Über Berxen, Uenzen (genau, mit der bekannten Ortsdurchfahrt), Süstedt und Wachendorf wurde Heiligenfelde erreicht. Dort gibt es eine richtig große Genossenschaft mit riesigen Silotürmen und diversen Ladegleisen; die Getreideverladung fand auf einem Stumpfleis in einer Halle statt. Also Lok abhängen, beladene Wagen abziehen und zurück ins Hauptgleis, Leerwagen anhängen, wieder ausziehen und die Leerwagen in die Halle schieben. Mit der Platzierung musste man sich in Heiligenfelde nicht ganz so viel Mühe geben da die Genossenschaft die Wagen selber verschieben konnte (ich glaube mit einem Gabelstapler).
Beladene Wagen ins Hauptgleis, Lok umsetzen, anhängen und die Wagen durchsehen (Klappen alle zu? Bremsen eingeschaltet? Lastwechsel auf beladen?), aufschreiben, Bremsprobe, Schlußscheibe. Zu diesem Zeitpunkt war der Jungrangierer meist schon total durchgeschwitzt und hatte die erste Literflasche Wasser leer. In Heiligenfelde wurde dann meist noch Pause gemacht wozu die Genossenschaftler uns in ihr „Kontor“ einluden – und immer etwas angefasst waren weil die Eisenbahner den feilgebotenen Mackenstedter Doppelkorn ablehnten. Im Hochsommer, mittags um 12!
Rückfahrt bis Bruchhausen-Vilsen. Die V36 hatte jetzt trotz Fahren im Rangiergang schon ziemlich zu kämpfen den beladenen Zug durch die knackigen Steigungen und engen Kurven zu ziehen. Die Sichtverhältnisse an den Bahnübergängen waren jetzt, Führerstand voraus, natürlich viel besser. Aber dafür fehlte einem der Motorvorbau als „Knautschzone“ wenn doch mal was passierte. Wir hatten 1998 auch einen wirklich haarigen BÜ-Unfall bei dem ein Trecker mit erhobenem Frontlader das Führerhaus zertrümmerte, wobei der Lokführer und ich (und auch der Treckerfahrer) mehr als einen Schutzengel hatten und unverletzt blieben.
In Vilsen waren nun die beladenen Wagen aus Gleis 1 mitzunehmen, und da musste man sehr aufpassen: um die Wagen mit Schwerkraft bewegen zu können hätte es ausgereicht einmal den Lösezug zu betätigen, aber die Genossenschaftsleute wollten immer sicher gehen und stellten an allen erreichbaren Hebeln hin und her so dass die Wagen völlig „verstellt“ waren.
Für die Weiterfahrt nach Hoya wurde es „kleinbahnig“. Eine V36 sieht immer ganz kernig aus, aber 360 PS sind wirklich nicht die Welt. Zwischen Bruchhausen-Vilsen und Hoya muss der Höhenrücken des Sellingsloh überquert werden, und aus Erfahrung wusste man dass man nicht mehr als sieben beladene Tdgs (waren dann glaube ich so rund 240 t) mitnehmen sollte, mit trockenen Schienen, Anlauf und Gottvertrauen auch acht. Also wurde der Zug geteilt: ersten Zugteil nach Hoya gebracht, Wagen abgestellt, zurück nach Vilsen. Zweiter Zugteil nach Hoya, abgestellt, und meist noch eine dritte Fahrt.
In Hoya wurden die Wagen auf einem Nebengleis abgestellt (Übergabe an die DB war ja erst wieder am nächsten Morgen), die Lok wieder über die Handdrehscheibe in den Schuppen gewuchtet und es war Feierabend – nach rund 10 Stunden. Fix und alle ging es nach Hause, duschen und was essen.
Und nein, ich habe damals keine Fotos gemacht! Fotos kosteten Geld, ich war Schüler, und mir war ehrlich gesagt auch nicht ganz klar wie besonders es schon damals war mit einer V36 Güterzüge zu fahren... Aber es waren oft Fotografen an der Strecke und ich habe schon mehrfach Bilder unserer Fahrten bei DSO und sogar in Büchern wiedergefunden.
Schön war es!
Grüße,
Sebastian
#3 RE: VGH-Getreideverkehr mit V36 in den 1990er Jahren
Zitat von Sebastian im Beitrag #1
Und nein, ich habe damals keine Fotos gemacht! Fotos kosteten Geld, ich war Schüler, und mir war ehrlich gesagt auch nicht ganz klar wie besonders es schon damals war mit einer V36 Güterzüge zu fahren... Aber es waren oft Fotografen an der Strecke und ich habe schon mehrfach Bilder unserer Fahrten bei DSO und sogar in Büchern wiedergefunden.
Sebastian stapelt tief und diskret. Wer ab und zu mal in meinen Blog schaut (s. Signatur), weiß, dass da in Kürze (vsl Heft 15) war Knuffiges in ADJ kommen wird. Wers überlesen hat, kann ja mal zum Eintrag vom 24.7. runterscrollen - dort, nicht hier.
Gruß
Otto
Vielen Dank, dass Du uns auf den sommerlichen Kleinbahnausflug mitgenommen hast. Ich bin in den 90er Jahren mal mit einem Sonderzug mit der 24 083 von Eystrup nach Bruchhausen-Vilsen mitgefahren und habe da einen Eindruck von der Strecke bekommen. Aber Dein Bericht nimmt einen wunderbar in das Kleinbahngeschäft hinein.
Lars
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