Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf

03.06.2025 08:39
#1 Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf
avatar

Hallo zusammen,

Es soll ja Leute geben, die Güterzüge doof finden. Ist nicht meine Meinung, aber okay. Kann man mit Personenzügen dann auch interessanten Betrieb abwickeln, vielleicht sogar richtig Rangieraction haben? Na klar. OOK hat in “Rangieren, aber richtig” zum Beispiel sehr schön gezeigt, was in Tirano los sein kann, wenn richtig was los ist. Am anderen Ende der Berninabahn, in St. Moritz, ist die Rhätische Bahn aber auch nicht untätig.

Ich war jedenfalls am 14. August 2023 nachmittags zum Umsteigen für 48 Minuten dort und konnte so einiges an feinster Personenzug-Rangiererei beobachten. Vieles davon habe ich fotografiert und in Notizen festgehalten. Die habe ich kürzlich noch einmal herausgesucht und nachvollziehbar zusammengestellt. Ich hoffe, meine kleine Dokumentation gefällt euch.

Ausgangssituation um 16:59 Uhr:

- Auf Gleis 1 steht der InterRegio IR 1160 bereit zur Abfahrt nach Chur. Der Zug war um 16:00 Uhr als IR 1145 aus Chur eingetroffen. Er ist mir einem Steuerwagen ausgestattet, so dass er als Wendezug verkehren kann. Vermutlich hat er die gesamte Stunde seit seiner Ankunft auf Gleis 1 gestanden.
- Auf Gleis 3 war um 16:37 Uhr der Glacier Express PE 902 aus Zermatt eingefahren. Der Zug fährt erst am Folgetag wieder zurück und wird in St. Moritz über Nacht abgestellt. Tm 2/2 113 hat gerade die Wagen von der Zuglok Ge 4/4 II 617 abgezogen und wartet auf die Freigabe zum Ausziehen ins Streckengleis Richtung Samedan.



Um 17:00 Uhr fährt InterRegio IR 1149 aus Chur auf Gleis 2 ein. Ich bin in diesem Zug ab Tiefencastel mitgefahren. Und habe damit die folgende Situation in St. Moritz vorgefunden.



Um 17:02 Uhr fährt IR 1160 aus Gleis 1 in Richtung Chur ab. Ich bin mittlerweile ausgestiegen und beginne, Fotos zu machen. IR1160 habe ich dabei allerdings leider nicht mehr erwischt.



IR 1149 wurde von Ge 4/4 III 645 gezogen. Die Sonnenblenden sind bereits für die Rückfahrt zugezogen.



Ge 4/4 II 617 mit der schicken 50-Jahre-LGB-Lackierung steht solo am Prellbock von Gleis 3.




Sobald die Strecke in Richtung Samedan frei ist, setzt Tm 2/2 113 mit der Wagengarnitur nach Gleis 5 um. Die Wagen des Glacier Express werden hier abgestellt.



Das Rangierpersonal fährt im Übergang des ersten Wagens.




Derweil stehen am Ende der Gleise 8 und 9 ein 1. Klasse Wagen und ein Aussichtswagen in der Abstellung. Der 1. Klasse Wagen ist offensichtlich an die Stromversorgung angeklemmt. Diesen Vorgang werden wir gleich auch nochmal live beobachten. Ich vermute stark, dass davon auch wesentlich die Abstellpositionen der verschiedenen Wagen bestimmt werden.



Tm 2/2 113 hat die Wagengruppe mittlerweile bis ans Ende von Gleis 5 geschoben und wartet hier erstmal bis zum nächsten Einsatz ab. Der wird auch nicht lange auf sich warten lassen. Gleichzeitig rückt der IR auf Gleis 2 ein Stück Richtung Bahnhofseinfahrt vor, kommt aber noch am Bahnsteig wieder zum Stehen.



Der kleine Traktor jetzt endlich mal aus der Nähe. Im Hintergrund sieht man schon, dass man auf Gleis 2 nichts mehr sieht.



Das liegt daran, dass der IR nun ganz am Anfang des Bahnsteiges steht.



Langweilig wird es aber nicht. Gerade mal zwei Minuten später fährt auf Gleis 6 der RegioExpress RE 1351 aus Landquart ein.



Es handelt sich um den Capricorn-Triebzug 3154, …



…, der bis zum Bahnsteigende durchfährt und neben der Glacier Express Garnitur zum Stehen kommt.



Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Noch einmal zwei Minuten später fährt um 17:11 Uhr der Regio R 1660 aus Tirano auf Gleis 7 ein.



Der Zug besteht aus dem Allegra-Triebzug 3501 und sieben Wagen. Damit ist es der längste Zug, der hier während meines Aufenthalts unterwegs war. Das soll er aber nicht bleiben. Es geht auf den Abend zu und für die Rückfahrt als R 4653 nach Poschiavo ist nur der Triebzug selbst vorgesehen. Die Wagen müssen also abgezogen werden. Das allein wäre schnell erledigt. Aber so einfach machen die Schweizer es sich nicht. Der Zug wird in mehrere Teile zerlegt und über den ganzen Bahnhof verteilt. Also Bühne frei für Tm 2/2 113 und das Solo-Rangierballett.



Als erste Amtshandlung zieht der Traktor aus Gleis 5 in die Weichenstraße vor.



So weit, so gut. Von Gleis 5 gibt es aber keinen direkten Weg nach Gleis 7.



Da bleibt einem nichts anderes übrig als eine Sägefahrt über das besetzte Gleis 6. Am Ende davon steht ja noch der RE aus Landquart. Bis der wieder abfährt, sind es aber noch gut 20 Minuten. Da lässt sich noch ein bisschen rangieren.



Ein Stückchen noch vorfahren, bis die Weiche frei ist…



… und dann geht es raus aufs Streckengleis Richtung Pontresina.



Nur drei Richtungsänderungen später hat der Traktor es von Gleis 5 nach Gleis 7 geschafft.



Jetzt sollen die Wagen vom Triebzug abgezogen werden. Aber nicht alle auf einmal.



Erst einmal wird angekuppelt.



Dann werden vier der sieben Wagen auf die Strecke Richtung Pontresina vorgezogen. Die restlichen drei bleiben erstmal an Ort und Stelle.





Die Rangiereinheit drückt jetzt in Gleis 9, wo bereits ein Pärchen Aussichtswagen steht (und der weitere ganz am Ende des Gleises – der spielt hier aber keine weitere Rolle).



Auf Höhe der Stromversorgungsstation werden die Aussichtswagen mit der Rangiereinheit verbunden. Danach wird die ganze Garnitur noch ein Stück weiter zurück gedrückt, so dass die Stromversorgung zwischen Wagen 2 und 3 (vom Traktor aus gezählt) der Rangiereinheit steht.





Zwei der Wagen werden dann wieder abgezogen und es geht mit ihnen nochmal raus aufs Streckengleis.



Derweil werden die beiden auf Gleis 9 verbleibenden Wagen an die Stromversorgung angeklemmt.




Der Traktor drückt die beiden Wagen, die er jetzt noch am Haken hat, nun auf Gleis 11, um sie dort abzustellen.






Dann geht es erneut raus aufs Streckengleis, jetzt ohne jegliche Wagen.





Denn auf Gleis 7 warten ja noch drei weitere Wagen, die der Triebzug loswerden muss, bevor es nach Poschiavo gehen kann.



Also fährt Tm 2/2 113 an den Zug heran und holt besagte drei Wagen ab.






Mittlerweile kennen wir das Bild. Auch diese Wagen werden in Richtung Strecke gezogen.





Wer jetzt aber annimmt, dass die drei Wagen auf Gleis 10 landen, hat sich geirrt. Stattdessen drückt die Rangiereinheit ins immer noch besetzte Gleis 6 vor. Da der Zug dort aber in 10 Minuten abfahren wird, kann sie nicht bleiben.





Stattdessen geht es nochmal über die ganze Weichenstraße ins Streckengleis nach Samedan.





Und schließlich werden die drei Wagen am Ende von Gleis 1 geparkt. Das glaube ich jedenfalls, denn genau beobachten konnte ich es von Gleis 6 nicht. Theoretisch könnte die Rangiereinheit auch den Gleiswechsel genommen und die drei Wagen auf Gleis 2 abgestellt haben.





Hinter dem InterRegio entlang ist klar. Aber dann verschwand die Garnitur hinter den abgestellten Glacier Express Wagen.



Was klar ist: Tm 2/2 113 ließ die Wagen stehen und zog allein wieder vor auf das Streckengleis.





Von dort aus ging es zurück nach Gleis 5. Tm 2/2 113 hat 23 Minuten gebraucht, um den R 1660 zu zerlegen und über den Bahnhof zu verteilen.



Pünktlich um 17:37 Uhr fährt dann auf Gleis 3 der Glacier Express PE 904 ein. Jedenfalls sagen meine Notizen, dass es dieses Gleis gewesen sein müsste, was ja noch durch Ge 4/4 II 617 besetzt ist. Unmittelbar danach fährt von Gleis 6 der ehemalige RE 1351 als RE 1362 nach Landquart ab. Von beiden Aktionen habe ich aber leider kein Foto mehr.



Derweil steht der nun befreite Allegra-Triebzug ebenfalls für die Abfahrt nach Poschiavo bereit.



Um 17:40 Uhr zieht meiner Erinnerung nach der InterRegio auf Gleis 2 wieder ans Gleisende vor, um Reisende aufzunehmen. Er wird um 18:02 Uhr als IR 1164 nach Chur fahren. Davon habe ich ebenfalls kein Foto. Es kann also sein, dass die Abläufe hier auch leicht anders waren. Da ich bereits im Zug saß, kann ich nur wiedergeben, was ich durchs Fenster beobachtet und mir notiert hatte.



Schließlich fuhr mein Zug (der ehemalige R 1660) um 17:48 Uhr von Gleis 7 als R4653 pünktlich in Richtung Poschiavo ab. In Pontresina nahm der Zug noch einen gedeckten Wagen und einen Rungenwagen mit, wie ich bei meinem Ausstieg in Morteratsch feststellen durfte. Was dann noch in St. Moritz passierte, dazu kann ich aber nichts weiter berichten.



Soweit das Vorbild. Man kann sich jetzt natürlich überlegen, was das modellbahnerisch hergibt. Dafür ist dies der falsche Forenbereich, aber ein paar gedanken will ich dennoch kurz nennen. Die könne wir gerne an anderer Stelle aufgreifen, wenn Interesse besteht.

- Wer Güterverkehr uninteressant findet, kann sich hier spannende Betriebsabläufe und Rangierbedarfe abschauen, die man mit Personenzügen umsetzen kann. Ist vielleicht mal eine andere Herangehensweise, die üppige persönliche Fahrzeugsammlung zu präsentieren, als Züge immer wieder im Kreis fahren zu lassen. Immerhin sind während dieser 48 Minuten hier 49 Fahrzeuge im Bahnhof gewesen. Und wenn man das in einem Modellbahnhof nachempfindet, braucht man für die Vorgänge fast genauso lange, wie das Vorbild. Das ist schon eine nette Betriebssession, die man damit abwickeln kann.
- St. Moritz ist natürlich schon ein ziemlicher Klopper von einem Bahnhof. So viel Platz für einen Modellbahnhof muss man auch erstmal haben. Hier lässt sich aber mit einer gewissen Kompression was rausholen, denke ich. Die Gleislängen sind für die meisten Züge, die wir oben gesehen haben, unnötig umfangreich. Da kann man kürzen. Und vielleicht ein paar Gleise ganz weglassen.
- Man muss aber natürlich gar nicht St. Moritz direkt als Vorbild nehmen. Allein die Abläufe sollten genug Inspiration bieten, um selbst etwas zu entwickeln.

Mein persönliches Thema ist das nicht, aber schön anzusehen ist es allemal. Und vielleicht inspiriert es ja jemanden zu vorbildgerechtem Personenzugbetrieb. Der muss nämlich auch in Epoche 6 nicht langweilig sein.

Herzliche Grüße,

Ole

P.S.: Falls euch irgendwo Ungereimtheiten auffallen, ihr Fehler finden oder noch ergänzende Informationen zu den Abläufen parat haben, schreibt gerne etwas dazu.



Die Schaumburger Kleinbahn
- Konzeption
- Anlagenplanung

 Antworten

 Beitrag melden
03.06.2025 10:08
#2 RE: Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf
avatar

wow Ole,

Das ist genau, denke ich wozu wir hier im Forum tätig sind. Das Sind nicht etwa viele Rangiermöglichkeiten, das ist Das was wir Betrieb nennen und Wirklich gut beschrieben Rangierbetrieb avant lettre.

Binn zwar kein ADJ Redakteur, aber so einer Story kann meiner Meinung nach direct ins ADJ. So macht das Grosse Vorbild Rangierarbeit und dann ist es Toll das mit zu erleben in dieses Forum. Vielen Dank. So ist der Eisenbahn Realität in Masstab 1 zu 1. Und Sagt vor uns wie wir es in 1 zu 87 machen können (sollen?).

Danke und Grüsse

Aad


 Antworten

 Beitrag melden
03.06.2025 20:42
#3 RE: Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf
avatar

Hallo zusammen,

Eine schöne Dokumentation aus der aktuellen Epoche!

Die RhB musste den Bahnhof ja barrierefrei ausbauen und daher ist der Kopfbahnhof entstanden. Früher war es ein Endbahnhof mit westlich (also links) anschließender Abstellgruppe. Da konnten die Zugloks umsetzen und alles in die zahlreichen Abstellgleise schieben.

Zudem gibt es das Dilemma des Spitzenverkehrs im Winter. Da können die Albula-Züge gerne mal doppelt so lang sein. Der Wendezug wird dann am Schluss mit Personenwagen aufgepeppt. Und das zweite Dilemma ist der Platz der Berninastrecke, der früher mal für kurze Züge dimensioniert war. Der Viadukt über den Inn limitiert halt die Länge. Heute sind es mit Allegra-TW insgesamt 10 Fahrzeuge, die unterzubringen sind. Nicht nur Modellbahner haben Platzprobleme.

Abschließend noch eine Vermutung bezüglich der auf Gleis 1 abgestellten Wagen. Vermutlich hat der nächste Zug nach Chur die Wagen aufgenommen, damit sie nach Landquart kommen (evtl. Wartung, Wäsche…)

Meint
Thomas


 Antworten

 Beitrag melden
03.06.2025 21:17
avatar  OOK
#4 RE: Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf
avatar
OOK

Zitat von HollandseRhBfan im Beitrag #2
Binn zwar kein ADJ Redakteur, aber so einer Story kann meiner Meinung nach direct ins ADJ.

Ich schon. Ich würde das "direkt" streichen wollen, denn ein Zeitschriftenartikel geht anders als ein Forumspost. Also zuerst: das Material ist hervorragend, die Idee, das so dazustellen, auch. Aber da käme auf Ole noch viel Arbeit zu sowohl an den Grafiken als auch an den Texten.
Ole, du hast zum Vergleich den Bernina-Express-Artikel im Rangierbuch erwähnt. Der war nicht von mir, sondern von Hans Schweers . Der hat viel Aufwand getrieben, die Vorgänge nachvollziehbar zu machen., bis hin zur Nummerierung jedes einzelnen Wagens. Wenn ich solche Grafiken zeichne (zuletzt im Waiglareuth-Artikel) arbeite ich. viel mit Pfeilen, die die Bewegung sichtbar machen, sonst ist es für denn Leser mühsam, festzustellen, wo die Veränderungen gegenüber dem vorigen Bild sind.
Wenn du Lust hast, dir die zusätzliche Arbeit anzutun, sag bescheid.
Gruß

Otto

OOK
Heute schon in den ADJ-Blog geschaut?
https://www.jaffas-moba-shop.de/anlagen-design-journal/

 Antworten

 Beitrag melden
04.06.2025 10:22
#5 RE: Rangierparty in St. Moritz - Oder: Tm 2/2 113 räumt auf
avatar

Hallo Otto,

Da hast du ja Recht. Schreibe Selbst für unserem Clubmagazin, und ich weiss, es ist viel Arbeit ein Artikel Lesefertig und verständlich drückfertig zu machen. Aber das mit den Grafiken habe ich nie gemacht, sieht sehr Profi aus. Aber für das Forum ist es toll, sollche Artikel.

Grüss Aad


 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!