Hyperrealismus

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25.03.2017 21:24
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#1 Hyperrealismus
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OOK

Wer hat das Wort auf- bzw. hier eingebracht? Pfalzbahn, Gilpin? Keine Ahnung, ist aber auch egal. Es ist nun mal in dieser Forum aufgetaucht - und das finde ich interessant. Lt. Wikipedia bedeutet die griechische Vorbilde hyper im Deutschen "über, mehr als". Etwas Hyperrealistisches wäre also mehr als realistisch, über das Realistische hinaus gehend. Surrealistisch ist das Gleiche, nur dass man da eine lateinische Vorsilbe gewählt hat.
Ich will nicht lange herumargumentieren: Hyperrealismus kann es auf einer Modellbahnanlage eigentlich nicht geben, denn realistischer als realistisch geht nicht. Man kann allenfalls den Realismus auf die Spitze treiben.

Da passt es gerade gut , dass im jüngsten Mailing des VGB-Verlages zwei ganz verschiedene Bücher direkt untereinander präsentiert werden: "Der Purist" von Willy Kosak (Herausgeber von Hp1-Modellbahn (Edelvariante) und Die Braunlage-Andreasberger Eisenbahn von, na ihr wisst schon ...
Bei der Beschreibung des erstgenannten Buches steht u.a. "Das Buch zeigt in drei Hauptabschnitten, was „Eisenbahn-Modellbau heute“ bedeutet: Gleisbau, der sich kompromisslos am Vorbild orientiert, Fahrzeugbau, dessen Detaillierungstiefe das in H0 Machbare auslotet, und Landschaftsbau, der die Grenze zwischen Natur und ihrer Nachbildung verschwimmen lässt."
Willy Kosak hat sich mal mit dem Ausspruch unsterblich gemacht "Kann denn Elite Sünde sein?" Willy Kosak ist mit Sicherheit einer, der den Realismus in der Modellbahn "auf die Spitze treiben" will. Aber selbst wenn ihm das in bestimmten Bereichen gelingt, weiter als bis an die Spitze kann auch er nicht kommen, auch er kann nichts Hyperrealistisches herzaubern.

Wenn ich sagte "in bestimmten Bereichen" bedeutet das eben auch "in anderen Bereichen nicht". Zum Beispiel im Bereich Betrieb. Das ist nicht Willy Kosaks Ding - wie übrigens vieler anderer Modellbahnern die Lokomotiven supern bis zum geht-nicht-mehr auch nicht. Auf meiner BAE wiederum wird ein Betrieb durchgeführt, der einer bestimmten Betriebsart (Zugleitsystem) des Vorbildes sehr nahe kommt. Aber selbst wenn wir das zu 100% erreichen würden, wäre das auch nur realistisch und nicht überrealistisch.

Kommen wir zum Gleisbau, wo ja der Begriff, zumindest von Pfalzbahn, benutzt wurde. Willy Kosak hat das so genannte angeblich kompromisslose H0pur erfunden, für das er sogar Markenschutz erhalten hat. Es hat seine Anhänger, aber nicht genug, als dass man von einem Durchbruch reden könnte. Das was wir in den normalen Modellbahnzeitschriften (MIBA und Co) sehen, ist, auch wenn besonders realistische Gleise und Weichen gezeigt werden, immer längst noch nicht H0pur. Von Hyperrealismus eh keine Spur. Aber zwischen einem sehr realistischen Weinertgleis in echtem Schotter und Märklin C-Gleis mit Schaumgummibettung liegen Welten. Man kann sich aus pragmatischen Gründen für Letzteres entscheiden, das ist aber kein Grund, realistischere Gleise als Hyperrealismus in eine Ecke zu stellen. Mein Vorschlag: Lassen wir das Wort einfach wieder weg. Da es H. nicht geben kann, wie ich bewiesen habe, brauchen wir auch das Wort nicht.
Aber: Das Streben nach immer mehr Realismus ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Wie weit er bei diesem Streben mitzieht, ist eh jedem selbst überlassen. Hubert erwähnt die von Allen McClelland geprägte "good-enough-philosophy", der auch ich anhänge. Nur liegt die Marke für das "good-enough" bei mir in einigen Bereichen höher als bei anderen und in einigen Bereichen niedriger. Ich baue meine 0m-Gleise bekanntlich selber und bin damit zweifelsfrei weit oberhalb von Fama/Roco 0m-Gleisen. Aber im Vergleich zur Vorbildtreue von H0pur sehe ich damit ziemlich alt aus.

OOK
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25.03.2017 23:04
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#2 RE: Hyperrealismus
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Hallo Otto,

zu Deiner einleitenden Frage:

Zitat von OOK im Beitrag #1
Wer hat das Wort auf- bzw. hier eingebracht? Pfalzbahn, Gilpin?
gibt es eine sybillinische Antwort: Hubert in's Forum, nach einer privaten Mail meinerseits an ihn. Und danach haben Hubert und ich eine pragmatische, nicht jedoch grundsätzliche Erörterung angefangen (und niemanden in eine Ecke gestellt) - die uralte Frage nach der Relation von Aufwand und Nutzen. Schön getrennt von irgendetwas persönlichem: ich bin der mit dem
Zitat von OOK im Beitrag #1
sehr realistischen Weinertgleis in echtem
aber bahnhofstypisch flachem Schotter (namentlich den neueren, kürzeren Weichen(bausätzen)), wohingegen Hubert das Märklin C-Gleis einsetzt - mit gut nachvollziehbarer Begründung. Das mit der
Zitat von OOK im Beitrag #1
Schaumgummibettung
verstehe ich jetzt nicht: der Knackpunkt des Märklin-(und Trix-)Gleises liegt doch gerade darin, dass es den Schotter gleich mitliefert. (Und plötzlich kommt Roco daher und legt das eigene eingeschotterte Gleis wieder auf...)

Natürlich habe ich auch Hp1-Modellbahn eine Zeitlang gelesen - und irgendwann aufgehört, nachdem mir auffiel, dass die Feinstdetaillierung von Gleisbefestigungsschrauben und underbody details von PwGs dazu führte, dass als Anlagenkonzepten praktisch Dioramen immer kleiner werdender Nebenbahnendbahnhöfe übrig blieben. Ansonsten schleiche ich seit Jahrzehnten um den Verkaufsstand der Hobbyecke Schumacher herum, wo immer er aufgebaut wird - und verzupfe mich praktisch wortlos...

Was wir mit dem Wort machen, ist eine andere Frage - worum es geht ist etwas anderes, und da lieferst Du doch die Messlatte: wo
Zitat von OOK im Beitrag #1
liegt die Marke für das "good-enough"
? Darüber reden wir.

Sag' mal: gibt's in Gießen keine Bars? ...oder keine Bars mit Besuchern und Ausstellern der Veranstaltung?

Schönes Wochenende noch,
Reiner


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26.03.2017 03:38
#3 RE: Hyperrealismus
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Zum Inhaltlichen des Wortes Hyperrealismus: Dass ein Modell nicht in allen Punkten die Realität 1:1 wiedergeben kann, ist offensichtlich. Wer das möchte, hat Möglichkeiten vom Aufstellen eines Signals im Vorgarten bis zum Betrieb einer Museumsbahn. Bei einem maßstäblichen Modell, egal ob Fahrzeug, bauliche Anlagen oder Landschaft, stellt sich doch die Frage: was wirkt illusionszerstörend bzw. unglaubhaft? Das ist sicherlich nicht die ungestaltete Fahrzeugunterseite, soweit man Details nicht von der Seite deutlich erkennen kann. Und auch nicht die Bettung eines Bettungsgleises. D-Zugwagen auf 36 cm - Radien sehen einfach unglaubhaft aus; sieht man nur vom Inneren des Kreisbogens, werden sicher viele Betrachter bei 550 cm keine Bauchschmerzen mehr haben. Und bezüglich der korrekten Nachbildung der Schrauben der Kleineisen auf der Gleisinnenseite muss ich leider zugeben, dass ich mich noch NIE einer Modellbahnanlage mit der Lupe genähert habe, um so einen bleibenden Eindruck dieser Details in meinem Kopf zu erzeugen. Der von Dir, OOK, praktizierte Zugleitbetrieb ist sicher ein spannendes Spielelement, er dürfte aber den meisten Eisenbahnfans in dieser Form unbekannt sein, ein Gleisbildstellwerk dagegen ist allgemein bekannt. Illusionszerstörend sind für mich stehenbleibende Züge, entgleisende Loks und Wagen sowie die Eingriffe eines deus ex machina mittels Pinzette o.ä. im sichtbaren Bereich der Anlage. Nicht umsonst wurde von der Industrie für möglichst vieles von dem, was unsere unbelebten Preiserleins nicht erledigen können, eine elektromechanische Lösung entwickelt, die möglichst unsichtbar, z.B. unter- oder innerhalb der Gleisbettung, untergebracht wird..

Wenn man nun zum semantischen Teil deiner Kritik kommt: das deutsche "über" in "Übergröße" hat eine andere Bedeutung als in "übersinnlich" oder "übernatürlich" oder als "sur" in "surréalisme". "Überdetailliert" könnte man z.B. alles das nennen, was bei üblichem Betrachtungsabstand ohnehin nicht mehr erkennbar ist, "superdetailliert" wird dagegen als Auszeichnung verstanden. Die Vorsilbe "hyper" wird dagegen, vor allem in Medizin und Biologie (z.B.: Hypertonie, hypertroph als Steigerung von eutroph, hyperopie) auch bei negativen Eigenschaften verwendet. Und wenn Wikipedia als Ideal des Hyperrealismus als Kunstform eine "fotorealistische Übersteigerung" der Wirklichkeit nennt, finde ich das Anliegen von Hubert gut mit diesem Wort beschrieben.
Gruß
Hans


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26.03.2017 11:07
#4 RE: Hyperrealismus
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Hallo, meiner Meinung nach ist das eine Frage des Betrachtungsabstands. Bei einem Diorama ist der Abstand naturgemäß kleiner als bei einer raumfüllenden Anlage. Dementsprechend wird sich die "good enough"-Grenze verschieden einstellen.

In Triptis I habe ich ein interessantes Experiment gemacht, das ich den Nietenzähler-Test genannt habe: Ich habe zwei fast identisch ausgestattete C3pr-Züge, die sich zB im Bahnhof Triptis kreuzen und in dieser Situation gleichzeitig sichtbar sind. Die eingesetzten Roco-Wagen hatten eine Menge Zurüstteile, das Vervollständigen war ne Menge Arbeit. Ich habe also den einen Zug mit allen Teilen versehen, den anderen nur mit den wirklich auffällig/notwendigen. Dann habe ich auf Kommentare der Besucher gewartet.

Das Ergebnis: Keinem meiner Besucher im Verlauf von mehr als einem Jahrzehnt ist da was aufgefallen!

Andererseits: Wenn ich die Fotos von OOK's Om-Gleis sehe... Das verschiebt diese Grenze wieder in die andere Richtung.

Viele Grüße - Helmut


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26.03.2017 12:22 (zuletzt bearbeitet: 26.03.2017 15:03)
#5 RE: Hyperrealismus
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Zitat von Kabees240 im Beitrag #3
... Und bezüglich der korrekten Nachbildung der Schrauben der Kleineisen auf der Gleisinnenseite muss ich leider zugeben, dass ich mich noch NIE einer Modellbahnanlage mit der Lupe genähert habe, um so einen bleibenden Eindruck dieser Details in meinem Kopf zu erzeugen.

Danke Hans,

für deine Ausführung! Da brauche ich nur den Wikipedialink zum Hyperrealismus nachschieben!

Die Lupe ist gerade der Knackpunkt. Aus "Betriebsentfernung" Auge - Gleis, von ca 50 cm, ist mir persönlich der Unterschied zwischen Weinert und C-Gleis zu gering für den Aufwand.





Zitat von Fdl Triptis im Beitrag #4
Hallo, meiner Meinung nach ist das eine Frage des Betrachtungsabstands. Bei einem Diorama ist der Abstand naturgemäß kleiner als bei einer raumfüllenden Anlage. Dementsprechend wird sich die "good enough"-Grenze verschieden einstellen.

In Triptis I habe ich ein interessantes Experiment gemacht, das ich den Nietenzähler-Test genannt habe: Ich habe zwei fast identisch ausgestattete C3pr-Züge, die sich zB im Bahnhof Triptis kreuzen und in dieser Situation gleichzeitig sichtbar sind. Die eingesetzten Roco-Wagen hatten eine Menge Zurüstteile, das Vervollständigen war ne Menge Arbeit. Ich habe also den einen Zug mit allen Teilen versehen, den anderen nur mit den wirklich auffällig/notwendigen. Dann habe ich auf Kommentare der Besucher gewartet.

Das Ergebnis: Keinem meiner Besucher im Verlauf von mehr als einem Jahrzehnt ist da was aufgefallen!

Viel wichtiger für den Eindruck sind die Proportionen (Gleise: Abstände, Radien; Fahrzeuge; Abmessungen, Rahmenhöhe, ...) als die berühmten Details.
OT: Ein Aspekt übrigens den viele bei einer Diskussion zum Beispiel einer Neuheit unterbewerten. Dummerweise haben die Modelle mit den meisten Details allerdings meist auch die besten Proportionen! ;-)


Grüße Hubert

"Sir, we are surrounded!" - "Perfect, so now we can attack in every direction!"

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27.03.2017 11:01 (zuletzt bearbeitet: 27.03.2017 11:01)
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#6 RE: Hyperrealismus
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OOK

Zitat von Gilpin im Beitrag #2
Sag' mal: gibt's in Gießen keine Bars? ...oder keine Bars mit Besuchern und Ausstellern der Veranstaltung?
Keine Ahnung, vermutlich eh alles Studentenkneipen. Schon in dem Restauraunt, in dem Jaffa und ich zu Abend aßen, verdoppelte sich der Altersdurchschnitt durch unseren Eintritt. Und der Geräuschpegel ließ so gerade eben noch ein Gespräch zu.
Hinfahren (Freitagnachmittag durchs Ruhrgebiet!), Stand aufbauen, essen, das reichte allemal. Dass ich andererseits noch was gepostet habe, lag nur daran, dass ich überrascht feststellte, im Auto Internt zu haben.
OT-Ende.

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27.03.2017 11:21
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#7 RE: Hyperrealismus
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OOK

Hans, dein Beitrag ist sehr interessant, allerdings hast du einen wüsten Themenmix von fast weltanschaulichen Statements gebraut, der das Thema des Stranges zwar berührt, aber es dennoch sprengt. Einige davon wären eine eingehende Diskussion wert, aber in eigenen Strängen. Vielleicht greife ich da noch den einen oder anderen Punkt auf.

Zitat von Kabees240 im Beitrag #3
Bei einem maßstäblichen Modell, egal ob Fahrzeug, bauliche Anlagen oder Landschaft, stellt sich doch die Frage: was wirkt illusionszerstörend bzw. unglaubhaft?
Das ist sicher die Gretchenfrage, und doch gibt es viel mehr Antworten als deine absolut subjektiven und von mir zumeist nicht mitgetragenen Ansichten.

Zitat
Und bezüglich der korrekten Nachbildung der Schrauben der Kleineisen auf der Gleisinnenseite muss ich leider zugeben, dass ich mich noch NIE einer Modellbahnanlage mit der Lupe genähert habe

Könnte es nicht eher sein, dass du dir ein reales Eisenbahngeis noch nie richtig angeschaut hast? Das Gleis ist - meiner persönlichen Auffassung nach - die eigentliche Eisenbahn. Daher lohnt es sich, danach zu streben, es so realistisch wie möglich nachzubilden. Sonst kann ich ja gleich Brio-Holzgleisstücke verlegen, bei der heutigen Akku- und Funkttechnik kein Hindernis mehr. Wenn Helmut aber schreibt:

Zitat von Fdl Triptis im Beitrag #4
Andererseits: Wenn ich die Fotos von OOK's Om-Gleis sehe... Das verschiebt diese Grenze wieder in die andere Richtung.
soll das vermutlich anerkennend sein, aber ich weiß, dass ich anderenorts mit dem Gleis nicht punkten kann, weil ich z.B. darauf verzichte, Schienenunterlagplatten zu verwenden. Auch ich habe da eine good-enough-Linie.
Huberts Wahl-Gleis hingegen (Sorry Hubert, du forderst mich heraus, indem du dein Gleis nicht einfach verwendest, sondern in riesigen Bildern immer wieder plakatierst) erinnert vage an ein Eisenbahngeis. Man kann schon erkennen, was es sein soll, und funktionieren tut es natürlich, aber na ja ...

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27.03.2017 21:40
#8 RE: Hyperrealismus
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Zitat von OOK im Beitrag #7

Könnte es nicht eher sein, dass du dir ein reales Eisenbahngeis noch nie richtig angeschaut hast?

Aus deiner Frage entnehme ich, dass du den entscheidenden Punkt nicht verstanden hast: ein Modellgleis hat bei mir noch nie einen bleibenden Eindruck deshalb hinterlassen, weil die Muttern der Kleineisen nachgebildet waren. Das hat mit dem großen Vorbild überhaupt nichts zu tun. Dass dort z.B. Straßenbahngleise auf Holzschwellen und im Schotterbett anders befestigt sind als bei der Bundesbahn, ist mir seit über 45 Jahren bewusst.

Zitat von OOK im Beitrag #7
Das Gleis ist - meiner persönlichen Auffassung nach - die eigentliche Eisenbahn. Daher lohnt es sich, danach zu streben, es so realistisch wie möglich nachzubilden. Sonst kann ich ja gleich Brio-Holzgleisstücke verlegen, ...

Soll das ein Argument sein?
Wir reden hier sachlich über die Notwendigkeit, DETAILS nachzubilden, die man im Modell nur aus einer extremen Nahdistanz erkennen kann. Was hat das mit Gleisen einer Holzeisenbahn zu tun?

Gruß
Hans


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27.03.2017 23:35
#9 RE: Hyperrealismus
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Guten Abend,

ich schließe mich der Auslegung von Hans an, dass hier "Hyperrealismus" im Sinne von "überdetailliert" zu verstehen ist. Ob wir den Begriff hier brauchen oder nicht, sei mal dahin gestellt. Er beschreibt aber auf jeden Fall einen Bereich, der jenseits der persönlichen "good-enough" Schwelle liegt. Dadurch, dass er diesen Bereich aber negativ bewertet, ist die Gefahr groß, dass sich andere angegriffen fühlen, bei denen diese Schwelle ganz wo anders liegt.

Zitat von OOK im Beitrag #7
Zitat von Kabees240 im Beitrag #3
Bei einem maßstäblichen Modell, egal ob Fahrzeug, bauliche Anlagen oder Landschaft, stellt sich doch die Frage: was wirkt illusionszerstörend bzw. unglaubhaft?
Das ist sicher die Gretchenfrage, und doch gibt es viel mehr Antworten als deine absolut subjektiven und von mir zumeist nicht mitgetragenen Ansichten.

Zitat
Und bezüglich der korrekten Nachbildung der Schrauben der Kleineisen auf der Gleisinnenseite muss ich leider zugeben, dass ich mich noch NIE einer Modellbahnanlage mit der Lupe genähert habe
Könnte es nicht eher sein, dass du dir ein reales Eisenbahngeis noch nie richtig angeschaut hast? Das Gleis ist - meiner persönlichen Auffassung nach - die eigentliche Eisenbahn. Daher lohnt es sich, danach zu streben, es so realistisch wie möglich nachzubilden. Sonst kann ich ja gleich Brio-Holzgleisstücke verlegen, bei der heutigen Akku- und Funkttechnik kein Hindernis mehr.



Hier legst du meiner Meinung nach genau die gleichen subjektiven Maßstäbe an, die du direkt darüber Hans zu recht ankreidest. Wenn man will, könnte man durchaus perfektionistischen Eisenbahnbetrieb mit Brio Gleisen machen. Und wenn man sich auf Fahrplanunterlagen und anderen Papierkram konzentriert, könnte eine Holzeisenbahn durchaus zur Illusion von Eisenbahn Betrieb ausreichen. Es ist halt die Konzentration auf "einen bestimmten Bereich".

Genau darum sehe ich auch keine Grund, Huberts Gleiswahl zu kritisieren. Der negative Hauch, der dem Begriff "Hyperrealismus" anhaftet, mag zwar Reflexe auslösen. Im Ursprungsbeitrag ging doch aber in keiner Weise darum anderen zu kritisieren. Er hat nur für sich festgestellt, was seinen Ansprüchen in diesem Bereich genügt. Jeder, der sich hier anders entscheidet, ist doch nicht besser oder schlechter.
Ich kann seine Entscheidung auch zu gewissen Teilen nachvollziehen:
- aus dem Betrachtungswinkel und Abstand fallen Rillenweiten, Zungengelenke und Kleineisennachbildungen wirklich nicht so stark auf
- wenn er so zu einem schnelleren und befriedigenden Baufortschritt kommt, ist doch wunderbar. Einen Schritte weiter vom Planen, Bauen in Richtung Betrieb
- die verfügbaren Radien wären nichts für meinen Geschmack. Er muss aber mit den Proportionen und dem optischen Anblick zufrieden ist, nicht wir.
- mich persönlich würde vor allem, der starre und überdimensionierte parallel Gleisabstand stören

Wie in einem anderen Strang erwähnt: der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.

Gruß Michael


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28.03.2017 04:32
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#10 RE: Hyperrealismus
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OOK

Zitat von tuxlover im Beitrag #9
Wenn man will, könnte man durchaus perfektionistischen Eisenbahnbetrieb mit Brio Gleisen machen. Und wenn man sich auf Fahrplanunterlagen und anderen Papierkram konzentriert, könnte eine Holzeisenbahn durchaus zur Illusion von Eisenbahn Betrieb ausreichen. Es ist halt die Konzentration auf "einen bestimmten Bereich".
Dem stimme ich hundertprozentig zu. Nicht zustimmen würde ich, wenn einer, der das tut, von Hyperrealismus sprechen würde, wenn jemand anders Gleise verwendet, die visuell deutlich näher am Vorbild liegen.

Zitat
Genau darum sehe ich auch keine Grund, Huberts Gleiswahl zu kritisieren.... Er hat nur für sich festgestellt, was seinen Ansprüchen in diesem Bereich genügt. Jeder, der sich hier anders entscheidet, ist doch nicht besser oder schlechter.

Ich kritisiere Huberts Gleiswahl auch nicht, nein, wirklich nicht. Es gilt lediglich mein oben zum Briogleis gesagter Satz.

Um die Hyperrealismus-Diskussion mal ein wenig vom Thema Gleis wegzulenken, zwei andere Beispiele:
a) Fichten, b) Gras
Das sind zwei Bereiche, in denen ich (mal wieder) voll neben dem mainstream liege. ad a): Ich finde Flaschenbürstenfichten furchtbar und würde sie allenfalls in der dritten Reihe verwenden, wo nur noch ihre Farbe wirkt. Und aus diesem Grunde treibe ich einen ziemlichen Aufwand, um einigermaßen "natürlich" aussehende Fichten zu produzieren.
ad b): Ich verwende zur Gestaltung von Gras nicht die heute so modernen elektrostatisch aufgerichteten Fasern, die als state of the art gelten, sondern feinste Schaumflocken. Und - jetzt darf gegrins werden - die Begründung borge ich bei kabees: Aus dem normalen Betrachtungsabstand von gut 20m (also 50 cm im Modell) kann man die Halme nicht unterscheiden, insbesondere nicht, wenn man den Harz kurz nach der Schneeschmelze darstellt, wo man selbst aus 2m Abstand (in der Realität) keine Halme sieht.
Wie man sieht, liegt meine good enough-linie mal höher und mal niedriger als die generelle.

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28.03.2017 11:30
#11 RE: Hyperrealismus
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Zitat von tuxlover im Beitrag #9

Wenn man will, könnte man durchaus perfektionistischen Eisenbahnbetrieb mit Brio Gleisen machen. Und wenn man sich auf Fahrplanunterlagen und anderen Papierkram konzentriert, könnte eine Holzeisenbahn durchaus zur Illusion von Eisenbahn Betrieb ausreichen. Es ist halt die Konzentration auf "einen bestimmten Bereich".
...
Gruß Michael


Michael, wenn du diesen Gedanken konsequent weiterentwickelst, kommst du natürlich darauf, dass man zur Darstellung des Zugleitbetriebes gar kein körperliches Modell benötigt. Für eine entsprechende Schulung kann man sicher einfacher eine Computersimulation benutzen.

Gruß
Hans


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28.03.2017 12:58
#12 RE: Hyperrealismus
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Hallo,

Zitat von OOK im Beitrag #10
Zitat von tuxlover im Beitrag #9
Wenn man will, könnte man durchaus perfektionistischen Eisenbahnbetrieb mit Brio Gleisen machen. Und wenn man sich auf Fahrplanunterlagen und anderen Papierkram konzentriert, könnte eine Holzeisenbahn durchaus zur Illusion von Eisenbahn Betrieb ausreichen. Es ist halt die Konzentration auf "einen bestimmten Bereich".
Dem stimme ich hundertprozentig zu. Nicht zustimmen würde ich, wenn einer, der das tut, von Hyperrealismus sprechen würde, wenn jemand anders Gleise verwendet, die visuell deutlich näher am Vorbild liegen.


hier will ich einhaken, der Begriff Hyperrealismus funktioniert ja immer nur in Abgrenzung zu den eigenen Ansprüchen. Wenn der Brio Bahner das nun über den C-Gleis Bahner sagt, wirkt das selbstverständlich ziemlich absurd. Ist ja auch ein extremes Beispiel. Grundproblem bleibt, dass dieser Begriff negativ intendiert ist und abgrenzt. Von daher unterstreiche ich deine Startaussage dieses Stranges, dass man diesen Begriff nicht braucht. Wohingegen eine Diskussion über die dahinter stehende Intention und die individuelle "gut genug Grenze" sicherlich interessant ist.

Ich finde es wichtig festzuhalten, dass diese Grenze des persönlichen Anspruchs je nach Modellbahn-Gebiet ganz unterschiedlich liegen kann. Also im Gleisbau, Fahrzeugdetaillierung, Alterung, Landschaftsbau, Betrieb oder in welchem Bereich auch immer.
Auch ist es unabhängig davon, ob man das gesamte Ensemble einer Modellbahn als stimmig betrachtet oder nicht. Will man dies erreichen, so würde ich persönlich sagen, ist Überdetaillierung in nur einem Bereich nämlich durchaus hinderlich, da dann auffällt das der Rest deutlich hinter dem Niveau zurück bleibt.
Damit will ich zum Thema dieses Forums zurück kommen. Was die Nachbildung der Eisenbahn Betriebsabläufe angeht, so ist dies sicherlich unabhängig von der optischen Ausgestaltung einer Modellbahn. Geht es nun um das Design einer glaubwürdigen / stimmigen Darstellung, so spielen hier die individuellen Anspruchsgrenzen eine Rolle. Wir haben hier im Forum dazu zwar schon eine Design Philosophie entwickelt, die aber sicherlich nicht allgemein gültig ist.

@OOK ich will jetzt deinen Brio Satz nicht weiter auf die Goldwaage legen. Du hast ja versucht explizit darauf hinzuweisen, dass es deine persönliche Auffassung in dem Satz ist. Ich habe ihn beim Lesen aber trotzdem auch als persönlichen Angriff auf Hans wahr genommen. Tut mir leid, wenn ich da gerade etwas sensibel bin. Aber nachdem ich in einem anderen Forum, gerade ein Ausufern von negativer Diskussionskultur erlebe, konnte ich das nicht unkommentiert stehen lassen. Ich bin mir sicher, dass ich es hier schärfer wahr genommen habe, als deine Intention beim Schreiben war.

Viele Grüße
Michael


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28.03.2017 14:46
avatar  OOK
#13 RE: Hyperrealismus
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OOK

Was Hans geschrieben hat, ist zwar eigentlich schon wieder ein anderes Thema, aber es ist problematisch, in einem Strang, in dem man mitdiskutiert, als Moderator zu agieren. Also lasse ich es hier laufen und diskutiere lieber.

Zitat von Kabees240 im Beitrag #11
Michael, wenn du diesen Gedanken konsequent weiterentwickelst, kommst du natürlich darauf, dass man zur Darstellung des Zugleitbetriebes gar kein körperliches Modell benötigt. Für eine entsprechende Schulung kann man sicher einfacher eine Computersimulation benutzen.
Das ist absolut richtig. Und da du mir diese Steilvorlage gibst, schieße ich geich mal das Tor dazu und berichte, dass der Zugleiter beim Betrieb auf der BAE (und vermutlich bei jeder anderen Anlage, die ihn hat, auch) der absolut realistischste Job von allen ist. Wenn er per Fernsprecher* die Zugmeldungen und Fahranfragen erhält, macht es überhaupt keinen Unterschied, ob es da um einen 1:1-Zug geht oder einem in irgendeinem Modellmaßstab. Insofern könnte man die physische BAE glatt durch eine Computersimulation ersetzen. Machen wir aber nicht, weil wir genauso gerne bauen, gestalten und Betrieb machen, als Tf, als Fdl und als Zl.

So, das war nun sicher meilenweit OT, aber so läuft es hier halt gerade.

*Der BAE-Zl sitzt in einer anderen Etage als die Anlage und sieht die Züge, die er leitet, nicht - wie ein richtiger Zugleiter halt.

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28.03.2017 14:54
avatar  OOK
#14 RE: Hyperrealismus
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Zitat von tuxlover im Beitrag #12
Ich finde es wichtig festzuhalten, dass diese Grenze des persönlichen Anspruchs je nach Modellbahn-Gebiet ganz unterschiedlich liegen kann. Also im Gleisbau, Fahrzeugdetaillierung, Alterung, Landschaftsbau, Betrieb oder in welchem Bereich auch immer.
Auch ist es unabhängig davon, ob man das gesamte Ensemble einer Modellbahn als stimmig betrachtet oder nicht. Will man dies erreichen, so würde ich persönlich sagen, ist Überdetaillierung in nur einem Bereich nämlich durchaus hinderlich, da dann auffällt das der Rest deutlich hinter dem Niveau zurück bleibt.


Dazu fällt mir ein, was Tony Koester im Railroad Model Craftsman schrieb, nachdem er zum ersten Mal Allen Mc Clellands V&O-Anlage gesehen hatte. Ich zitiere mal aus dem Gedächtnis: "Da war nichts besonders Hochkarätiges, keine Modelle, die Preise gewinnen könnten, keine superdetaillierten Fahrzeuge. Alles so, wie die meisten Modellbahner es auch könnten. Das Besondere an der Anlage war die durchgehende Stimmigkeit, die Kohärenz, von der Landschaft über die Gebäude und den Fahrzeugen bis hin zum Fahrplanbetrieb. Alles passte zueinander. Das nenne ich hervorragend."
Am anderen Ende der Messlatte wären dann Anlagen, wo teure Lokomotiven der Messing-Spitzenklasse auf Sperrholzplatten im Kreise herumfahren. Na ja, das muss ich hier keinem erzählen.

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28.03.2017 17:19
avatar  Solwac
#15 RE: Hyperrealismus
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Wie wäre folgende Anlage im Hinblick auf Hyperrealismus zu charakterisieren?

Dargestellt wird ein kleiner Endbahnhof mit schönem Gleismaterial, passenden Gleislängen und gut detaillierter Landschaft. Gebäude, Beschriftungen, Fahrzeuge, Figuren usw. stellen gelungen die 70er-Jahre in der DDR dar. Eingesetzt werden Fahrzeuge wie Wittfeld-Akku, Nachkriegsgüterwagen usw., ingesamt alles Epoche IIIa der DB. Und abgewickelt wird ein Verkehr wie bei der Reichsbahn der 30er Jahre. Jede der drei Komponenten ist im Rahmen des technisch machbaren hochwertig und liebevoll im Detail, entstammt aber einer anderen Epoche. Der Gegensatz DB-Rollmaterial und DDR-Ausgestaltung ist augenfällig, aber sowohl Landschaft wie Rollmaterial passen gut auf eine ehemals preußische Nebenbahn nahe der innerdeutschen Grenze.


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28.03.2017 18:12
avatar  OOK
#16 RE: Hyperrealismus
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OOK

Das mag für den Erbauer/Betreiber ein gelungener Mix sein, ein Tony Koester würde aber wohl nicht den in meinem vorigen Post zitierten Spruch ablassen.

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29.03.2017 01:11 (zuletzt bearbeitet: 29.03.2017 01:12)
avatar  Gilpin
#17 RE: Hyperrealismus
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Hallo Solwac (#15),

klar, das wäre furchtbar. Überhaupt wäre es schön, wenn Konzeptionen wieder mit Hilfe des in diesem Forum mit großen Mühen entwickelten "Broccoli" vorgestellt würden - manches Missverständnis würde vermieden. Aber: lass mich mal Deinen Text ganz leicht umformulieren - Änderungen kursiv:

Dargestellt wird ein kleiner Endbahnhof mit schönem Gleismaterial, für die Darstellung aller relevanten Abläufe passenden Gleislängen und gut detaillierter Landschaft. Gebäude, Beschriftungen, Fahrzeuge, Figuren usw. stellen gelungen die 70er-Jahre ... dar. Eingesetzt werden Fahrzeuge... der Epoche IIIa der DB und der den Bhf. betreibenden Privatbahn. Und abgewickelt wird ein Verkehr, der sich von dem bei der Reichsbahn der 30er Jahre nicht wesentlich unterscheidet. Jede der drei Komponenten ist im Rahmen des technisch machbaren hochwertig und liebevoll im Detail, entstammt aber nicht wirklich einer anderen Epoche. Der Gegensatz DB-Rollmaterial und Privatbahn-Ausgestaltung ist augenfällig, aber sowohl Landschaft wie Rollmaterial passen gut z.B. auf eine ehemals bayerische Nebenbahn ...

Was ich sagen will - die von Dir angesprochene Variationsbreite ist durchaus machbar, wenn man auf offensichtliche Widersprüche verzichtet. Und ein pragmatischer Kompromiss wäre gefunden.

Schönen Start in die Woche,
Reiner


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29.03.2017 08:23
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#18 RE: Hyperrealismus
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Hallo Reiner, das hast du Solwac ja eine wunderschöne Brücke gebaut. Bei mir bleibt dennoch die Frage im Kopf, ob er sich auf eine real existierende (seine ?) Anlage bezieht oder nur mal so zur Provocation ein Anti-Beispiel formuliert. Magst du dazu was sagen, Solwac?

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29.03.2017 08:52
avatar  Solwac
#19 RE: Hyperrealismus
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Zitat von Gilpin im Beitrag #17
klar, das wäre furchtbar.
Das verstehe ich nicht.

Mit meiner Beschreibung wollte ich nur auf die Gleisdiskussion Brio oder C-Gleis hinweisen, die meiner Meinung nach nichts mit Hyperrealismus zu tun hat. Eine realistisch wirkende Anlage wird immer noch ein Modell sein. Erst in der Reflexion kann jetzt eine solche Anlage mit der Realität verschmelzen. Das können z.B. gute Fotografien sein, die (wenn möglich sogar in schwarz-weiß oder leicht farbverfälschend wie bei früheren Analogfilmen) einem Betrachter die Unterscheidung von Vorbildfotos erschweren. Aber es können auch Erinnerungen an das Vorbild von früher sein, die bei der Beschäftigung mit einer Anlage aufkommen.

Allerdings hat eine solche Reflexion einen Nachteil: Sie ist individuell. Fotos haben Schwierigkeiten bei der Vermittlung von Dynamik, von Abläufen. Und Erinnerungen oder Vorstellungen "so könnte es nach den mir bekannten Unterlagen damals ausgesehen haben" sind sehr individuell. Wenn jemand sich durch einen Zug auf C-Gleis oder gar beim Spiel der Enkel mit Brio an etwas erinnert fühlt, dann ist die objektive Qualität des Modells unwichtig - der Trigger war ausreichend.

Als Hyperrealismus würde ich daher etwas bezeichnen, was über ein (individuell verschiedenes) Maß hinaus ausgeführt wurde ohne die Immersion zu erhöhen. Wenn ich mich also beim Betrieb oder beim Betrachten einer Anlage so sehr mit einigen Abläufen beschäftige, dass mir der Unterschied zwischen dem tatsächlichen Gleis und dem was ich für gut realisierbar halte nicht mehr auffällt, dann ist es gut. Eine weitere Verfeinerung könnte damit als hyperrealistisch bezeichnet werden. Ein Beispiel wäre z.B. eine mir vorher nicht bekannte Anlage bei einer Messe: Das sterile C-Gleis würde mir immer als noch nicht optimal auffallen. Ein gut verlegtes und mit Details von Hand eingeschottertes Code 83-Gleis wäre aber bereits unauffällig (d.h. es trägt so viel zur Gesamtwirkung bei, dass ich es bei der Verfolgung des Betriebs als passend ansehe). Gleisbau wie bei H0pur würde von mir bei entsprechender Einbindung in den Betrieb aber eventuell schon nicht mehr bewusst werden. Das wäre hyperrealistisch. Trete ich aber erst einmal nur betrachtend an die Anlage und bin noch nicht "eingetaucht", dann würde mir sehr wahrscheinlich die deutlich überdurchschnittliche Ausführung des feinen Gleismaterials auffallen.

Als Modellbahner nehme ich also ein und dieselbe Anlage durchaus in wechselnden Rollen wahr. Das gilt auch und besonders bei der Betrachtung einer eigenen Anlage. Denn da bin ich mal Lokführer, mal Fahrdienstleiter, mal überlege ich was als Chef der Güterabfertigung, mal befasse ich mich mit den Bedürfnissen der Preiserleins auf dem Bahnsteig wenn ein Kurswagen rangiert wird...


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29.03.2017 10:38
#20 RE: Hyperrealismus
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Hallo, ich habe mal ein Beispiel zur Frage "was ist besser" bzw. "was ist realistischer".

Man beachte die DKW-Weichensignale. Das linke gab es in Triptis I, es war etwas zu groß (wie auch die Schienenhöhe), es sah aber einigermaßen realistisch aus. Das rechte steht heute in Triptis II, ist einigermaßen maßstäblich (Schienenhöhe Code 83), sieht nicht so gut aus. Aber: Das rechte funktioniert! Es zeigt das vorbildmäßige Signalbild. War für einen alten Modellbahner mit zittrigen Fingern gar nicht so leicht aus acht SMD-LEDs zusammenzulöten!



Also, was meint ihr? Welches ist good enough?

Mit Gruß - Helmut


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29.03.2017 11:53
avatar  JBS
#21 RE: Hyperrealismus
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JBS

Moin,

hyperrealistisch bauen geht nicht oder macht zumindest keinen Sinn. Auch Willy Kosak baut(e) "nur" möglichst reale verkleinerte Werke.
Wenn Hyper/Super-Realismus ins Spiel kommt, dann evtl. durch überzogene HDR-Aufnahmen, die dann das Abbild des Werks "mehr als" realistisch erscheinen lassen.

Die ganz andere Frage, nämlich welcher Detailierungsgrad bzw. welche Maßstabsgenauigkeit richtig ist, kann man nicht eindeutig beantworten.
So finde ich z.B. beide Weichenlaternen von Helmut vollkommen ausreichend, weil ich nicht der Lupenmensch bin und auch beim Fahren nicht gezielt auf die richtige Anzeige der Weichenstellung achte. Beim Fotografieren einer Szene fände ich es allerdings auch unglücklich, wenn die Anzeige von der tatsächlichen Stellung abweicht. Spätestens wenn ich in Helmuts Kamera-Lok sitze würde ich die LED-Variante bevorzugen.

Viele Grüße,
Johann

29.03.2017 12:59 (zuletzt bearbeitet: 29.03.2017 13:00)
#22 RE: Hyperrealismus
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Zitat von JBS im Beitrag #21
Spätestens wenn ich in Helmuts Kamera-Lok sitze würde ich die LED-Variante bevorzugen.

Das war für mich auch der Grund für die LED-Variante. Einen Kamerawagen hatte ich schon in Triptis I, und da ist es manchen Lokführern aufgefallen, wenn die DKW-Stellung nicht zu der Anzeige gepasst hat.

Also: Die verschiedenen Darstellungs-Detailierungsgrade müssen zusammenpassen, dürfen sich nicht widersprechen. Dann akzeptiert man auch eine weniger detailbehaftete Modellierung.

Mit Gruß - Helmut


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29.03.2017 14:04
avatar  OOK
#23 RE: Hyperrealismus
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OOK

Ich würde auch ohne Kamera-Lok die LED-Variante mit korrekter Abzeige der Weichenzungenstellung bevorzugen. Bei Zugfahrten mag das irrelevant sein, da ich dann davon ausgehen darf, dass bei Hp1 die nachfolgende Fahrstraße korrekt eingestellt ist. Bei Rangierfahrten wäre es aber zumindest schwierig, so ganz mal eben schnell per Check der Zungenstellungen (4 Paare!) den eingestellten Fahrweg zu kontrollieren.
Aber auch dies ist keine Frage von Hyperrealismus, wenn ich das noch bemerken darf, sondern eine betriebspraktische.

OOK
Heute schon in den ADJ-Blog geschaut?
https://www.jaffas-moba-shop.de/anlagen-design-journal/

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29.03.2017 21:12 (zuletzt bearbeitet: 29.03.2017 21:49)
avatar  BR41
#24 RE: Hyperrealismus
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Um das Wort "Hyperrelismus" noch zu retten, wenn auch nicht vor den Grammasiten*, so doch wenigstens vor dem Nichtgebrauch, führe ich hier einmal das Gegensatzpaar Modell <-> Realität ein. Hyperrealismus in Bezug zur Realität, da bin ich bei Otto, gibt es nicht, da mehr als Realität nicht geht. Aber wie sieht es aus, wenn ich das Wort in Bezug zum Modell setze? Hier gibt es mehr, mehr in Richtung Realität. Jedes Modell dient einem Zweck und erfüllt einen Sinn, es bildet die Realiät mehr oder weniger gut ab, kann sich also mehr oder weniger von der Realität entfernen. Ein gutes Modell nähert sich genau so weit der Realität, wie es muss. Jetzt ist "Hyperrealismus" die Übererfüllung der Annäherung an die Realität, die nicht zum Sinn des Modells gehört.

Ein Beispiel:
Mein Modell soll die Organisation der Warenströme bei der Bahn in den 1960er Jahren erlebbar machen. Nun wird es spannand. Wenn ich nur die Organisation und die Prozesse in der GA modellieren will, ist sogar eine Brio-Bahn hyperrealistisch, einfach weil Papier keine Wagen braucht. Werden wir modellbahnfreundlicher: mein Modell soll die Warenströme auf den Gleisen in den Wagen darstellen. Dann brauche ich zumindest so etwas wie Gleise und Züge, die darauf fahren. In diesem Fall sind aber Landschaft und Bäume hyperrelistisch, diese brauche ich für mein Modell nicht, kann und sollte ich also weglassen. Wenn wir jetzt noch die übliche Bedeutung von Modellbahn ins Spiel bringen, kommen wir den Vorstellungen der meisten Foristen hier wahrscheinlich schon näher:
Organisation der Warenströme bei der Bahn auf den Gleisen und in den Wagen, eingebettet in eine Landschaft.

Fazit: Das Wort "Hyperrealismus" hat eine Bedeutung und muss damit nicht sterben.



*zu Grammasit: http://www.jasperfforde.com/thursdaynext...n/bestiary.html

----

-- Andreas

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30.03.2017 07:58
avatar  Solwac
#25 RE: Hyperrealismus
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Zitat von BR41 im Beitrag #24
Mein Modell soll...
[...]
mein Modell soll...
Du zeigst sehr schön auf, wie mehrere Ziele das Modell beeinflussen. Die Rolle des Güterbeamten am Schreibtisch ist etwas anderes als die des Rangierers, der die Wagen an die Ladestellen bugsieren soll.
Jeder einzelne Aspekt kann natürlich diskutiert werden, aber die implizite Annahme, alle anderen Aspekte würden davon nicht berührt oder würden von den Diskussionsteilnehmern auch nur ähnlich gesehen und gewichtet, ist unrealistisch. Und dennoch hilft der Fokus auf einzelne Aspekte, da sonst jedes Mal bei Adam und Eva angefangen werden müsste.


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