Ein Erzzug in Eisenerz

18.09.2022 13:38 (zuletzt bearbeitet: 18.09.2022 14:04)
#1 Ein Erzzug in Eisenerz
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Ich bin gestern zu zwei alten österreichischen Stellwerken gefahren, die in wenigen Wochen abgerissen werden, um letzte Bilder zu machen: Eines vom Rankapparat in Leoben Donawitz - danach gleich eine Aufnahme vom Stahlwerk, das indirekt für dieses Posting wichtig ist ...





..., ein weiteres vom EM 55 in Weißenbach-St.Gallen:



Dazwischen bin ich, weil's auf der Strecke liegt, am Erzberg in Eisenerz vorbeigefahren. Der Bahnhof liegt malerisch vor dem seit Jahrhunderten abgegrabenen Berg:



Man sieht, dass jegliche Bahnsteige - ob Schütt- oder erhöht - entfernt wurden: Dort gibt es keinen Personenverkehr mehr, sondern nur mehr den Erzverkehr. Ich wollte eigentlich nur ein, zwei Bilder vom Stellwerk aufnehmen - ein sogenanntes EM5007, i.W. eine mit elektrischen Weichenantrieben "gepimpte" Variante eines mechanischen Stellwerks. Mein Bild ist aus diversen Gründen verheerend - ist halt so:



Wie ich da zur Fahrdienstleitung gehe, kommt über das alte Streckengleis der Zahnradbahn ein Erzzug herunter:



- da habe ich mich, und dann den überaus freundlichen Fahrdienstleiter, gefragt, was sich da jetzt abspielt. Ich denke, das ist was, was für die verschubaffinen Leute hier vielleicht interessant sein könnte - daher werde ich es in zwei Postings ein wenig skizzieren. Das erste Posting ist noch relativ fotolos, weil ich erst in der Mitte der ganzen Aktion hingekommen bin - aber in der zweiten, verspreche ich, seht ihr ein paar interessante Bilder und auch Videos!

Bevor ich das aber tue, hier noch ein wenig zum Verkehr, der dort zu leisten ist. Hier ist eine Landkarte der drei beteiligten Betriebe und der Verkehrsflüsse:



Am Erzberg wird auch heute noch rund um die Uhr Eisenerz abgebaut; aus den 12 Millionen Tonnen abgebautes Gestein werden ca. 3 Millionen Tonnen Feinerz, das in die Stahlwerke Linz und Donawitz der VOEST-alpine ("VA") geht. Am Tag ergibt das ca. 10000 Tonnen Erz, das in ca. vier täglichen Zügen nach Linz und zwei bis drei Zügen nach Donawitz geht; pro Zug macht das rechnerisch an die 1500 Tonnen Erz, das Zuggewicht muss knapp unter 2000 Tonnen liegen (ich habe nicht gefragt; vielleicht weiß das wer genauer - aber Eisenbahnbuchhalterisches interessiert mich nicht so ). Die Wagen sind schon lange keine "klassischen Erzwagen" mehr, sondern ein von der VA entwickeltes und auch vermarktetes Containersystem.

Richtung Linz (hellblau) laufen die Erzzüge meines Wissens durchs Ennstal, weil dabei keine Steigung zu überwinden ist; die Leerzüge kommen über den Pyhrn und das Gesäuse zurück. Durch diesen "Kreisverkehr" erspart man sich Zugbegegnungen, die auf den langen durchgehend (bis auf Stücke der Pyhrnbahn) eingleisigen Strecken nur hinderlich wären. Richtung Donawitz (gelb) wurde das Erz früher auf ziemlich direktem Weg, aber mit viel Aufwand, über die berühmte Erzbergbahn (neben dem schwarzen Kreuz) nach Donawitz befördert, bis dieser Betrieb mit seiner Uralttechnik bei weitem nicht mehr wirtschaftlich war. Heute laufen die Züge hin und zurück über den Triebener Tauern, der an immer mehr Stellen zweigleisig ausgebaut wird.

Aber nun zum Betrieb in Eisenerz! Hier ist ein Bild der Gleisanlagen, zusammengeschustert aus zwei Stellwerksbildern und rechts verlängert um den Teil, den ich vergessen habe aufzunehmen (ich bin mittlerweile ziemlich schlampig beim Fotografieren - das leiste ich mir als Alterserscheinung ):



Zur Erklärung:
- Links sieht man das von Vordernberg kommende Streckengleis, das nicht mehr befahren werden darf (gesetzliche Sperrung der Steilstrecke, ehemals Zahnradstrecke).
- Darunter ist die "AB Vöest" (noch in alter Schreibweise) in Krumpenthal zu erkennen, wo das Feinerz vom Verladebunker in die Containerwagen fällt - gleich mehr dazu.
- Im Bahnhof sieht man, dass das Streckengleis 1 von Vordernberg her nicht mehr durchgebunden ist, sondern als Gleis 1a stumpf endet. Es kann eigentlich nur als Bremsgleis verwendet werden, wenn eine beladene Garnitur von Krumpenthal herunter durchgeht ... und wohl vielleicht als Abstellgleis für den Güterzugsbegleitwagen, zu dem wir gleich kommen.
- Sonst haben wir noch ein paar zweiseitig angebundene Hauptgleise, die zwischen 415 und 456 Metern lang sind - ich denke, auf so ziemlich jedem geht sich der ganze Erzzug aus, weil die Wagen doch sehr schwer beladen sind.

Jetzt machen wir uns aber auf, die Verschubbewegungen für die Beladerei anzusehen. Ich hab dazu ein paar Skizzen gemalt, wobei ich nicht weiß, ob die Gleisbelegung so wirklich stimmt - sie ist aber zumindest vernünftig, hoffe ich! In der ersten Skizze ist der Leerzug, der aus einem 1116er-Tandem (rot) und ca. 20 Erzcontainerwagen (orange) besteht, auf Gleis 5 angekommen:



Die Ladestelle in Krumpenthal wird über eine Steilstrecke - den Anfang der alten Zahnradbahn - erreicht, daher kann man von dort nicht mit einem ganzen beladenen Erzzug herunterfahren, der wäre zu schwer. Der Zug wird also geteilt, und jeder der zwei Teile wird getrennt beladen. Richtung Krumpenthal wird jede Zughälfte geschoben, und daher muss die Zugspitze besetzt werden. Dazu dient ein Güterzugbegleitwagen (grün), den ich in der vorherigen Skizze auf Gleis 1a habe warten lassen.

Aber es gibt noch ein Problem: Durch den Verladebunker führt keine Oberleitung, sie endet knapp vor der Bunkereinfahrt. Damit alle Erzcontainerwagen beladen werden können, braucht es also einen Abstand zwischen den Loks und dem ersten Wagen. Dazu dienen zwei sogenannte "Schutzwagen" (blau) - pikanterweise zwei alte Erzwagen, die hier im Gleis 11 stehen (genauer: vom letzten Beladevorgang stehengeblieben sind!). Am Bild weiter oben sind die beiden Schutzwagen in der zurückkehrenden ersten Hälfte direkt hinter dem 1116er-Tandem zu sehen.

Nun geht aber endlich der Verschub los. Aktiv ist der Triebfahrzeugführer, die Verschubleiterin (ja, war eine Dame) und in der Fahrdienstleitung der Fahrdienstleiter, alle durch Funk verbunden. Ich zeichne nicht jede Bewegung hin - das solltet ihr hier alle hinkriegen -, aber nach ein paar Mal hin- und herfahren steht die eine Zughälfte eingewickelt in Verschubbegleitwagen und Schutzwagen auf Gleis 11:



Nach dem Umfahren des Tandems auf die andere Seite und einer Bremsprobe ...



... ist die Garnitur fertig zur Schubfahrt nach Krumpenthal. Die Fahrt wird, wenn ich's richtig verstanden habe, als Sperrfahrt im Bahnhof durchgeführt, d.h. der Fahrdienstleiter gibt die Erlaubnis zur Vorbeifahrt am haltzeigenden Ausfahrsignal H11. Fünf Minuten später ist der Zugteil in Krumpenthal schon durchgeschoben durch den Ladebunker und wird nun im Schritttempo nach vorne gezogen, während die automatische Beladung vor sich geht:



... und hier beende ich mein erstes Posting, denn ab jetzt gibt's einerseits Bilder und sogar Videos, die ich in einem weiteren Posting zeigen will. Andererseits gibt's aber interessante Verschubbewegungen, denn wir müssen nun sowohl den Begleitwagen wie auch die Schutzwagen zur anderen Zughälfte bringen; da gibt's mehrere Möglichkeiten, die gewählte ist eher nicht offensichtlich ... seid gespannt!


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18.09.2022 19:39 (zuletzt bearbeitet: 18.09.2022 20:03)
#2 RE: Ein Erzzug in Eisenerz
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Bevor ich den zweiten Teil schreibe, könnten wir ja wieder ein Rätsel veranstalten ...: Wie viele Bewegungen braucht man (ihr), um die herunterkommende Hälfte (die Fahrt runter ist schom im Gange) auf einem Gleis abzustellen, Begleitwagen und Schutzwagen an die andere Hälfte zu kriegen und nach oben loszufahren? - Antworten (mit Details) einmal per PM an mich, schlag ich vor.

Eine Bewegung ist "wie üblich" definiert, also dranfahren mit Stehenbleiben oder umkehren. "Durchschieben" ist nicht erlaubt - da braucht man je Teil eine eigene Bewgung -, und so Verrücktheiten wie englischer Verschub (kunstschneppern) schon gar nicht.

Ich hab selber noch nicht gezählt - ich schau mal, was ich zustandebringe ...

H.M.


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18.09.2022 20:34
avatar  OOK
#3 RE: Ein Erzzug in Eisenerz
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OOK

Eine großartige Dokumentation, Harald, vielen Dank dafür. Dachte man, am Erzberg sei nach dem Entfall der Zahnradzüge mit Dampflok vorn und hinten nichts Interessantes mehr zu sehen, hast du uns eines Besseren belehrt. Und die Aufteilen der Hin- und Rückfahrten auf zwei Strecken ist ja ein mittlerer Geniestreich. Jetzt mopse ich mal ein Mantra aus dem Stummi-Forum: Bin schon gespannt, wie's weiter geht.
Gruß

Otto

OOK
Heute schon in den ADJ-Blog geschaut?
https://www.jaffas-moba-shop.de/anlagen-design-journal/

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20.09.2022 11:40
#4 RE: Ein Erzzug in Eisenerz
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Zwei Lösungsansätze hab ich bisher bekommen - sie unterscheiden sich "ziemlich grundlegend". Vielleicht will noch wer ...
Morgen bin ich wieder zuhause, dann kommt der zweite Teil mit der Auflösung!

H.M.


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21.09.2022 22:29 (zuletzt bearbeitet: 21.09.2022 22:51)
#5 RE: Ein Erzzug in Eisenerz
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Ich bin den zweiten Teil der Aktivitäten in Eisenerz schuldig - hier ist er.

Hier sieht man noch einmal das Foto aus dem letzten Posting, wo der erste Teil von Krumpenthal herunterkommt:



Langsam fährt er hinten auf Gleis 11 ein ...



... und wird immer langsamer - wieso nur? - er hat doch noch ein gutes Stück zu fahren, bis er grenzfrei im Gleis 11 steht!



So sieht das nun aus:



Und er bleibt stehen. Vermutlich wisst ihr schon, was passiert: Der Begleitwagen wird, noch im Gefälle vor der Spitzenweiche, abgekuppelt und zurückgelassen!:



Der restlichen Teil kann nun nach vorne aufs Gleis 11 gezogen werden:



Als nächstes wird nun der zweite Teil aus seinen vier Teilen zusammengebaut. Für die Fahrt zum Begleitwagen steht das Verschubsignal am H5 schon auf "Verschub erlaubt" - Verschubsignale sind bei dieser halbwegs einfachen Stellwerksbauart frei stellbar:



Auf der anderen Seite zieht das Tandem die Schutzwagen vom ersten Teil weg:





Der Fahrdienstleiter, über Funk verbunden mit der Mannschaft draußen, stellt die Weichen:



Auf der Gleisausleuchtung sieht man links den Begleitwagen, der die Isolierung vom Verschubsignal VEK ("Verschubsignal vor der Eisenbahnkreuzung") bis über die EK belegt; oben am Gleis 11 stehen die Erzwagen des ersten Teils; und am Gleis 5 der zweite Teil, für den - haben wir ja gesehen - das Verschubsignal schon gestellt ist:



Als erstes muss das Tandem samt Schutzwagen am Gleis 5 an den zweiten Teil gekuppelt werden:



Dann geht's langsam rückwärts, bis zum Begleitwagen, der angekuppelt wird - davon gibt's nun das erste Video:



Eine einfache Bremsprobe am letzten Erzwagen ist nötig und offenbar ausreichend:



Und dann geht's mit der klassischen Siemens-Tonleiter ziemlich schwungvoll (und nicht mit Schrittgeschwindigkeit, wie ich woanders geschrieben habe) in die Steigung:



Ich kenne mich in Eisenerz nicht aus, deshalb musste ich mich erst durch die alte Stadt durchsuchen, wo eine extrem enge Gasse mit Gegenverkehr Richtung Krumpenthal führt. Daher bin ich dort erst angekommen, als die Verladung schon im Gange war. Hier ist ein Bild des hohen Ladebunkers:



Das folgende Bild (das ich eigentlich erst ganz am Ende aufgenommen habe) zeigt seine Einfahrt, mit geschlossenem Tor und einer Menge von "Halt für Fahrzeuge mit angehobenem Stromabnehmer"-Tafeln - die zwei bei der Einfahrt sind der Grund für die Schutzwagen:



Auf einem Abstellgleis steht der ursprünglich für das Durchziehen der Wagen angeschaffte und schon lange defekte Fahrroboter und rostet vor sich hin:



Aber jetzt ein Zusammenschnitt von ein paar Videostücken vom Verladevorgang:



Der Begleitwagen kommt unter dem Bunker raus, einen Nachschuss hab ich ihm noch gegönnt ...



... und das war's. Schluss! - die ganzen Vorgänge unten in Eisenerz zum Zusammenstellen des ganzen Zuges müsst ihr euch leider vorstellen, davon gibt's nichts mehr. Allzu schwer ist das aber nicht ... mit einer Randbedingung: Zum Schluss müssen die zwei Schutzwagen wieder alleine auf Gleis 11 stehen! - das bleibt, als letzte Denksport-Verschubaufgabe, noch übrig.

Das Ganze spielt sich übrigens, wie gesagt, jeden Tag mehrere Male ab; und dürfte noch jahrelang weiterlaufen (den österreichischen Stahlwerken dürfte es nach den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine besser gehen, als sie vielleicht erwartet haben ...). Daher: Wenn jemand bessere Fotos und Videos - oder bei besserem Wetter - aufnehmen will; oder genauer dokumentieren, welche Gleise, Zuglängen, Positionen verwendet werden - nichts wie hin!


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22.09.2022 09:51 (zuletzt bearbeitet: 22.09.2022 09:52)
avatar  dave
#6 RE: Ein Erzzug in Eisenerz
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Hallo Harald,

toller Beitrag! Ich bin immer wieder fasziniert wie aufwändig der Verschub oft praktiziert wird.

Trotzdem will die ÖBB auch Kosten sparen und so sind ja die Fahrverschubwagen (neuerdings "Transportwagen") schon einige Zeit verschwunden, wenn sie nicht unbedingt sein müssen. Hier ist so ein Fall, da bei solchen planmäßigen geschobenen Fahrten Spitzensignal, Notbremse und Pfeife an der Spitze notwendig sind. Dafür gilt eine Vmax 40 km/h, statt 25 km/h.

Der Grund des nicht mehr notwendigen Verladeroboters liegt in der Verwendung von 1016/1116 für diese Leistungen. Die Loks haben ein eigenes Programm mit dem die E-Bremse (die Verladestelle liegt im Gefälle) die Geschwindigkeit zwischen 0,7 - 2,3 km/h regeln kann. Dazu können bis zu 240 kN E-Bremskraft aufgebracht werden, was die laufenden Lüfter im Video erklärt.

Der Zug verkehrte übrigens nach Leoben Donawitz, da hier die ÖBB die Züge führt. Nach Linz fährt die VOEST "selbst" Ihrem EVU CargoServ.


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