Die Geschichte des Modellbahnhobbys

26.12.2015 11:15 (zuletzt bearbeitet: 27.12.2015 07:50)
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#1 Die Geschichte des Modellbahnhobbys
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OOK

Dadurch, dass ich jetzt eine Zeit lang Zugriff auf das online-Archiv des Model Railroader habe, konnte ich endlich einmal das tun, was ich schon lange wollte: einmal nachschauen, was denn zur Zeit meiner Geburt (Mai 1940) drüben so los war.
Mai 1940: Die Deutsche Wehrmacht marschiert in die Niederlande, Belgien und Frankreich ein. Frankreich und Großbritannien erklären den Krieg. Churchill wünscht die Unterstützung der USA. Aber die Amerikaner haben besseres zu tun, als in den Krieg zu ziehen. Zum Beispiel bauen und betreiben sie ihre Modellbahnanlagen. Hier ein Beispiel aus dem Model Railroader Mai 1940:

Betrieb auf der Connecticut Midland-Anlage von Watson House
(von Boomer-Pete)

Pete findet das „Anweisungskarten“-Betriebssystem (wieder einmal) nützlich.

Was für eine Anlage! Sie können sich, vor allen Dingen, wenn sie auf eine Landkarte schauen, den dichten Verkehr kaum vorstellen, der durch dieses Tor zu Neu England fließt. Die Bahn ist elektrifiziert und hat diverse Lokomotiven nach New Haven Vorbild: 4-6-6-4 E-Loks der Baureihe 0320 als auch 0-4-4-0-Rangierlokomotiven, einen mehrteiligen Elektrotriebwagen und einige Dampflokomotiven für Notfälle und Durchgangsverkehr: eine Hudson, eine 0-4-0-Rangierlok, eine Hiawatha und einen benzin-elektrischen Triebwagen.



Wesentlich interessanter als das Material ist der allgemeine Plan der Midland Bahn, die Tatsache, dass sie vor allen Dingen auf die tatsächliche Durchführung des Verkehrs abzielt. Zum Beispiel ist die Anlage point-to-point. Die Züge fahren tatsächlich von Poughkeepsie nach Hartford und zurück. Hinter jedem Endbahnhof ist zwar eine Kehrschleife, so dann man auch endlose Zugläufe durchführen kann, aber selbst mit diesen Schleifen ist es absolut keine rundum-Anlage.
Es gibt lange gradlinige eingleisige Abschnitte und unabhängig davon, was die Züge an den Endbahnhöfen machen, müssen sie ordentliche Kreuzungen mit Gegenzügen absolvieren, wenn sie von einem Endpunkt zum anderen fahren.
Die Zweigstrecke nach Bolton wurde hauptsächlich zur Bedienung des Steinbruches gebaut, es gibt aber auch einen Personenverkehr für die Steinbrucharbeiter. Auf der Hauptstrecke umfasst der Personenverkehr ein durchgehendes Zugpaar Nr.13/14 mit Pullmann- sowie Post- und Expressgutwagen; ein Railway-Express-Zug Nr.21/22, der auch ein paar Personenwagen mitführt, das Kühlwagen-Eilgüterpaar 41/42 und 43/44 ist das normale Güterzugpaar.
Ich habe nicht oft die Chance, auf der Midlandbahn mitzufahren, und so war es eine besondere Freude, den Boss persönlich in der Loungecar des Zuges 14 zu treffen während wir über den Schienenstrang zwischen Bristol und New Britain ratterten.
Nachdem wir über das Wetter geredet hatten sowie über FDR* und Hitler, erwähnte er, dass er gerade so viel Verkehr auf der Anlage hat wie er händeln kann und fragte, ob ich gerne mal einen Job übernehmen wolle. Klar wollte ich und so fand ich mich am nächsten Tag am Bedienungspult von Waterbury wieder.
Mein Partner dort war Ray Payne, Vorsitzender des Hartforder Modellbahnclubs. Am Ende der „division“ waren der Boss Watson House, Al Norman und George Foster. Watson gab uns einen Überblick über den Betriebsablauf und erzählte uns, dass zwei Züge in Poghkeepsie anfingen und vier in Hartford. Alle sechs Züge sollten eine volle Hin- und Rücktour über die Anlage machen und an den Endpunkten zerlegt und rangiert werden.

Jede Crew bekam einen Satz 3“ x 5“ Karteikarten (ca. A 6) ausgehändigt mit mit getippten Anweisungen für die diversen Züge und Rangierbewegungen. Auf der obersten Karte des Waterbury-Satzes stand Folgendes:
Waterbury Rangierlok stellt einen Personenwagen auf Abschnitt M (22-R, 20-L)
Abkuppeln und Rangierlok zurück in den Rangierbahnhof (21-L, 20-R).
Beide Weichen wieder auf die Hauptstrecke legen (22-L, 21-R)


Ray und ich machten und also daran, mit dem 0-4-0-switcher (Bn2-Rangierlok) einen Personenwagen von einem Nebengleis aufzufischen und ihn im Gleissektor M abzusetzen. Die Zahlen auf der Karte sind Weichennummern und R und L steht für Rechts bzw. links. Das machte das Rangieren einfach.
Dann kamen wir zur zweiten Karte, die uns Anweisungen gab für die Zusammenstellung eines Durchgangsgüterzuges, der in Kürze Poughkeepsie verlassen sollte. Auf der Karte stand:

Für G 44 Lok 1057
Mit Lok und Caboose vom Lokgleis zurücksetzen
Caboose zwischen 11 und 12 absetzen
Wagen von Gkeis 8 aufnehmen
Wagen von Gleis 9 aufnehmen
Wagen von Gleis 6 aufnehmen
Caboose aufnehmen
Rangierlok abkupeln und durch Zuglok ersetzen
Durch die Kehrschleife fahren,an der Weiche T halten und auf Einfahrt von Zug 13 von Waterbury warten


Diese Karte war ganz schön happig. Aber als ob das nicht genug war, kam der Boss noch mit einer Extrakarte, auf der stand, dass wir zwei Kühlwagen von Gleis 6A nach Gleis 4A umsetzen sollten, was wir auch taten.
Die Mannschaft am anderen Ende in Hartford war derweil fleißig dabei, ihr Kartenset abzuarbeiten und jetzt mit demZug Nr. 13 in unsere Richtung unterwegs.

*Franklin D. Roosevelt

Soweit der Auszug aus dem Artikel im MR 5/40.

Das ist also die Modellbahnhilosophie, die mir quasi in die Wiege gelegt worden ist.

OOK
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27.12.2015 09:43
#2 RE: Die Geschichte des Modellbahnhobbys
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Ich bin ca fünf Jahre Jünger, damit also gegen Kriegsende geboren. Da würde es mich ja mal brennend interessieren, was denn so zu den ganz harten Zeit im MR stand, z.B. um den D-Day.

Davon abgesehen finde ich's schon sehr beeindruckend, dass die Amis in Deutschlands schwärzester Zeit sich mit dem Betrieb auf Modellbahnen beschäftigten. Ein pazifistisches Hobby also.
Der Gleisplan der Connecticut Midland mit den beiden Kehrschleifen ist zwar nicht ganz my cup of tea, aber er ist heute noch total aktuell. Und boomer pete (?) hat schon Recht: point-to-point kann man darauf dennoch fahren, findet

Der Eisenhans


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28.12.2015 19:09
avatar  STBR
#3 RE: Die Geschichte des Modellbahnhobbys
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Mich würde ja mal brennend interessieren, seit wann diese "Betriebsphilosophie" in USA so verbreitet ist!
Angefangen hat es "drüben" doch sicherlich wie bei uns:
Nach 1835 gab es erstmal Zinnfiguren (das war sozusagen das tagesaktuellste Spielzeug) und einfache Holzmodelle zum hinterherziehen. Dann, immer noch ohne Gleise, sog. "Bodenläufer", d.h. Echtdampfmodelle, danach dann Gleise und wiederum Echtdampf oder, gefahrloser, Uhrwerklokomotiven. Dann erst, nach ca. 1890 kam die "Elektrische Eisenbahn" auf, für Menschen mit a)Stromanschluß im Haus und b) VIEL Geld und Platz. Die gebräuchlichen Baugrößen waren I + II, 0 kam dazu als die Motoren kleiner wurden, sozusagen "für den kleinen Geldbeutel".
Diese Großspurigen Modellbahnen wurden i.d.R. nur zu Weihnachten auf dem Fußboden aufgebaut und bespielt, wobei Streckenführungen vom Salon durch den Flur in's Speisezimmer durchaus gebräuchlich waren. Märklin warb zu dieser Zeit mit Kunden wie z.B. Zar Nikolaus II (wobei die Revolution 1917 NICHT von Gleichstromfahrern gegen die 3-Leiter-Wechselstrom-Fraktion ausgelöst wurde!). Das Nageln von Gleisen auf die berühmte "Platte" kann eigentlich erst mit Einführung der Spur 0 aufgekommen sein. Irgendwann hat dann auch die Startpackung mit dem Schienenoval das Licht der Welt erblickt. Da Märklin solche "Sets" auch nach USA exportierte, müßten diese "Rennbahnen" als Anlagenkonzept auch in USA angekommen sein.

Warum und ab wann also wurde diese "Vorgabe" in USA ignoriert und bei uns bis heute fortgeführt?
Liegt es daran daß hierzulande der maschinenbauende Ingenieur das Maß aller Dinge ist ? D.h. der Schwerpunkt liegt auf den Triebfahrzeugen, der Rest ist "Ausschmückung", Hauptsache die Lok bewegt sich ?
Ist vielleicht "drüben" der Civil Engeneer der den Raum mit Bahnstrecken überbrückt der Angesehenere ?
D.h. der Streckenbau und der Betrieb ist das Interessante, die Loks nur Betriebsmittel ?
Seit wann gibt es den MR eigentlich und hat er diese Entwicklung mit ausgelöst oder nur publiziert ?

Viele Grüße:
Stefan

P.S.: Das oben Geschriebene habe ich mir im Laufe der Jahre zusammengelesen, leider kann ich keine Quellen angeben. Wenn also etwas nicht stimmt oder jemand bessere Informationen hat bin ich nicht böse wenn ich korrigiert werde!


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06.01.2016 21:58
avatar  OOK
#4 RE: Die Geschichte des Modellbahnhobbys
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OOK

Zitat von STBR im Beitrag #3
Mich würde ja mal brennend interessieren, seit wann diese "Betriebsphilosophie" in USA so verbreitet ist!

Ich habe jetzt mal den 1. Jahrgang (1934) des MR durchgearbeitet. Das war natürlich nicht der MR von heute und auch nicht der der Sechziger, Siebziger und Achtziger. Eine Menge schrottiger Gleispläne drin, auch von John Armstrong. Aber dann fand ich im Oktoberheft die Antwort auf Stefans Frage:

Planning for Realism
The storyof a Layout Carefully Planned in Every Detail to be Realistic in Operation.
By James F.Dechert


Seit einiger Zeit freut sich der Verfasser auf den Tag, wenn er den Raum zur Verwirklichung seiner idealen Modellbahnanlage haben wird. Er konnte bisher noch nicht mit dem Bau beginnen, und so verbringt er die Zwischenzeit damit, zu experimentieren und die grundlegenden Prinzipien der Anlage zu planen, immer in der Annahme, dass die Anlage in einem gut beleuchteten und geheizten Extraraum gebaut werden wird.
Auf der Suche nach Ideen für seine Anlage sind dem Verfasser drei Dinge aufgefallen:

Erstens: Die unterschiedlichen Versuche, große Distanzen zu schaffen, sind zu den bekannten vollgestopften Ergebnissen gekommen selbst in Fällen, wo ein relativ großer Raum zur Verfügung stand. Es sieht so aus, als wenn immer, wenn viel Raum zur Verfügung steht, der Modellbahner entweder eine zu große Baugröße gewählt hat oder aber den Platz mit Gleisen vollgeknallt und auf diese Weise freiwillig seinen größten Vorteil verspielt hat, zumindest unter dem Blickwinkel des vorbildlichen Betriebes. Vielleicht gibt es sie, aber der Verfasser hat noch nichts von ihr gehört,von einer Anlage im 00-Maßstab (ca.1:76) in einem etwa 20 x 30 Fuß großen Raum (6m x 9m). Ein Raum dieser Größenordnung ist unausweichlich mit Spur 0 oder größer gefüllt.

Zweitens: Eine andere Sache, die besonders insAuge fällt und eine logische Folge des eben Gesagten zu sein scheint, ist dieTatsache, dass Stationsgrößen nicht harmonieren. Die Züge starten von einem großen imposanten Endbahnhof und enden nach einer wirren Herumfahrerei in einem andern, der viel zu klein ist für den Verkehr, der vom Erstgenannten ausgeht.

Drittens: Das Fehlen jeglicher Begründung, warum eine Eisenbahn zwischen diesen vier Wänden herumkurven sollte. Auch wenn es problematisch ist, darauf hinzuweisen, es scheint noch niemand versucht zu haben.
Mit diesen drei Faktoren im Hinterkopf hat der Verfasser sich vorgenommen, sich anzustrengen, diese bei seiner Suche nach Realismus zu umgehen, wenn es irgendwie menschenmöglich ist.

Weiterhin wollte er bei der Auswahl und Platzierung der von seiner Bahn bedienten Stationen eine gewisse Logik zugrunde legen, damit seine nach Fahrplan fahrenden Züge sinnvoll zwischen ihnen verkehren können, wobei diese Stationen auch in einer passenden Landschaft liegen sollen. In wieweit ihm das geglückt ist, weiß er noch nicht, immerhin hat er einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Obwohl der Name der Bahn „Great Seaboard“ sein wird (nach dem Prinzip je kleiner der Maßstab desto imposanter der Name), wird um nicht gleich in die erste Falle zu tappen nur ein kleiner Teil dieses Systems dargestellt, nämlich der Anfang der Thunder Bay Nebenstrecke. Hier zwingt eine breite Bucht die Bahn, die unmittelbare Küste zu verlassen und unter Ausnutzung der geringen Steigungen in einem schmalen Tal mit einem Fluss in der Mitte voran zu kommen und dann durch eine Schlucht wieder zur Küste zurückzukehren, während das Flusstal im Hintergrund weiter geht.

Diese Nebenstrecke wird nur soweit dargestellt, bis ein Bahnhof erreicht ist, der ein logischer Halt für einen Eilzug (semi fast express) sein kann, der dann um einen Berg herum verschwindet und scheinbar auf der Strecke weiter verkehrt. In Wahrheit befindet sich hinter dem Berg eine Kehrschleife in der Werkstatt, wo die Züge wenden können. Expresszüge fahren hier ohne Halt durch und Vorortzüge enden hier, denn hier auf der der großen Stadt mit dem Hauptbahnhof gegenüber liegenden Seite der Bucht ist eine attraktive Wohnlage.

Das ist etwa das erste Drittel des Beitrags (Übersetzen kostet Zeit!)

OOK
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09.01.2016 17:32 (zuletzt bearbeitet: 09.01.2016 17:32)
avatar  vauhundert ( gelöscht )
#5 RE: Die Geschichte des Modellbahnhobbys
va
vauhundert ( gelöscht )

Hallo Otto,

nicht nur Stefan interessiert dies.
Mach nur weiter mit der Übersetzung!

Nicht soviel mit der Eisenbahn spielen, wie ich aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen heute hörte/gelesen habe.

Ich denke, wenn man der zeitgenössischen deutschen Literatur auf den Grund geht,
so sind die ersten Ansätze aus dem TRIX-Handbuch ab 1937 ja doch von gewisser Ähnlichkeit.
Auch hier gilt sicherlich, wie auch bei anderen Gebieten außerhalb der (Modell-)Eisenbahn, das diese unsäglichen Dinge und Taten der Zeit,
vieles an Ideen und Ausführungen zunichte gemacht haben.

Beste Grüße aus dem Bergischen

Michael


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