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Frage zu außergewöhnlicher Weichenbetätigung
Guten Abend Freunde der Sicherungstechnik,
ich halt Euch ganz schön auf Trab die Tage
Hier
https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?017,9304291
ist mir die simultane Bedienung einer Abzweig- und einer Schutzweiche vermittels Gestängeleitung
und eines eher anglo-amerikanisch wirkenden Stellhebels untergekommen. Und das in der Nordpfalz.
Habe ich in Deutschland so noch nie gesehen. Kam so etwas häufiger vor?
Gruß
Alex
#2 RE: Frage zu außergewöhnlicher Weichenbetätigung
Ich glaube, dass man sich hier tief in deutsche Geschichte verstricken kann: Odernheim war gerade noch in der bayerischen Pfalz, also in "Süddeutschland". Tatsächlich haben die süddeutschen Eisenbahnen** - Bayern, Baden, Württemberg - von ihrem "Stammlieferanten" Bruchsal (ex Schnabel und Henning) - aber auch Jüdel, der ja nicht den Markt verlieren wollte; und in der Schweiz mit ihren ähnlichen Vorstellungen auch gut verdiente - einiges an speziellen Einrichtungen erhalten; unter anderem eine größere Liebe zu Gestängeleitungen. Hier ein Zitat aus dem "Eisenbahn-Bau der Gegenwart" von 1901, "Vierter Abschnitt: Signal- und Sicherungs-Anlagen", S.920:
Zitat
In Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist z. B. für die preußischen Staatsbahnen bestimmt, daß Stangenleitungen in der Regel nur bis zu 200 m, Drahtleitungen dagegen bis zu 350 m Entfernung zum Weichenstellen benutzt werden dürfen. Unter günstigen Verhältnissen sind aber Ueberschreitungen dieser Längen nicht selten, und es sind sogar, namentlich in Süddeutschland, Stangenleitungen bis zu 1000 m Länge mit gutem Erfolge zur Ausführung gekommen.
(Noch ein) Edit: Man sieht m.E. auf dem Bild auch bei der sichtbaren Weiche einen Mittelverschluss, wie er in der Schweiz der Standardverschluss war und noch häufig ist; und bis in die 1920er eben auch in Süddeutschland - m.W. v.a. Baden, aber auch Bayern und Württemberg - häufig eingesetzt wurde (bis dann der preußische Hakenverschluss und schlussendlich natürlich der Klammerverschluss die Mittelverschlüsse verdrängt haben).
Deine Frage "Kam so etwas häufiger vor?" ist damit ziemlich sicher so zu beantworten: Bei den süddeutschen Eisenbahnen ja, sonst vermutlich selten (OOK hatte da aber ein schönes Beispiel einer Gestängeleitung im Harz-Forum, von dem er gern selber erzählen kann ...). Nach 1920, mit Einheitsstellwerk und Reichsbahn, "überrollten" dann die (neueren) "preußischen Vorstellungen" ganz Deutschland, und ab dann wurden solche Einrichtungen sicher immer seltener (im Gegensatz zur Schweiz, wo die Bruchsaler Tradition fortlebte). Wieviele davon bis wann überlebt haben, wird man nicht mehr feststellen können, weil sich für solche "irregulären Reste" überhaupt niemand interessierte, von den wenigen, die sich überhaupt mit Sicherungsanlagen auseinandersetzten*.
Wenn Deine Frage ist "Darf ich sowas bauen?", dann ist die Antwort "ja" - es gab Hunderte lokale mechanische Konstruktionen, die in keiner Typenzeichung und keinem Katalog vorkamen und trotzdem jahrzehntelang Weichen, Signale und Schrankenanlagen sicherten. Nur die "Regelvernarrten" glauben, dass sich die Realität überall an die vorgeschriebenen und dokumentierten Bauarten hält ...
H.M.
* Man muss sich nur die Fotos von Dir verlinkten in dem Thread anschauen: Da fotografiert und postet jemand einen 08/15-Schienenbus, aber diese Gestängeleitung wurde offenbar einfach "mitgenommen". Ich hätte einen halben Film auf diese Anlage verwendet und den Schienenbus ignoriert ...
** Wobei ich keine Ahnung habe, wer diese Strecke gebaut hat - waren das tatsächlich die Bayern, oder doch sonstwer?***
*** [30 min später ...] Jetzt hab ich im Schnelldurchgang mir die Geschichte der pfälzischen Eisenbahnen in der Wikipedia reingezogen - also ja, das war eine bayrisch geplante Eisenbahn, und damit ziemlich sicher auf technischem Gebiet "bayrisch" bestimmt (z.B. findet man bei den Lokomotivfabriken häufig Maffei aus München), also wohl auch auch beim Gleisbau und Signalwesen sehr "süddeutsch" .
Ein weiteres Beispiel für außergewöhnliche Weichenbetätigung habe ich in "Harzer Schmalspur-Spezialitäten" Bd, I beschrieben. Der Bf Stöberhai der Südharzbahn hatte ein Ausweichgleis, dessen eine Weiche direkt am Stationsgebäude gelegen war, die andere hundert Meter entfernt. Erstere wurde mit einem einfachen Gewichtsweichenhebel gestellt. Die andere per Gasrohr-Gestänge mit einem Gestängeweichenhebel mit Zahnkranz, der direkt neben dem anderen Weichenbock stand.
Und noch ein Sahnehäubchen drauf: Vom Weichenbock der nahe liegenden Weiche ging wiederum per 90° Umlekung ein Gestänge zu einer Gleissperre, die auf diese Weise mit der Weiche (anstelle einer Schutzweiche) gekoppelt war.:
Das Foto ist ein Ausschnitt aus einem viel größeren, daher die Unschärfe und schlechte Auflösung. In HSS I ist auch noch eine scharfe Aufnahme nur der beiden Weichenhebel nebeneinander sowie ein Grafik.
Gruß
Otto
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