HULD à la Weinert

25.02.2020 11:41 (zuletzt bearbeitet: 25.02.2020 12:48)
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#1 HULD à la Weinert
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OOK

Wenn ihr jetzt glaubt, ich hätte hier wieder mal ein gefundes Fressen, um meine ewige ätzende Kritik an übertriebenen HULDigungen* abzuarbeiten, dann irrt ihr euch. Es geht nämlich auch anders, und das wurde mir an einer Stelle bewiesen, wo ich es nicht erwartet hatte. Ich hatte mir die MIBA-Broschüre über Rolf Weinerts H0-Anlage bestellt, einfach weil ich wissen wollte, wie so ein hochkarätiger Modellbauer (s)eine Anlage konzipiert und realisiert:

Und meine Vermutungen wurden voll erfüllt: Perfektes Gleisbild, perfekte Signale, perfekte Drahtzugleitungen, eine Aura von Perfektion und Akkuratesse liegt über der ganzen Anlage, etwas, was ich so niemals erreichen könnte.

Eine kleine persönliche Zwischenbemerkung: als einer, der fünfzehn Jahre lang von Bremen nach Syke mit dem Zug gependelt ist, ist eine wenn auch free-lancige Umsetzung genau dieses Bahnhofes schon mal ein besondere "Bemessensgrundlage".

Dass Rolf Weinert "sein Gleis" hier zu voller Entfaltung bringen würde, war abzusehen. Beim wiederholten Durchblättern der 114 Seiten drängte sich etwas anderes in den Vordergrund: die (nicht-eisenbahnige) Detaillierung. Es gibt durchaus diverse der von mir häufig kritisierten um nicht zu sagen verhohnepiepelten Installationen wie Wochenmarkt mit bunten Marktständen, Biergarten oder Schrebergärten. Sie sind da, aber keine von ihnen erregte meinen Widerwillen - und irgendwann fing ich an, darüber nachzudenken, warum das so war und ist.

Fangen wir mal mit dem beliebtem Thema Wochenmarkt an:


Alle Fotos: Markus Tiedtke, mit freundlicher Genehmigung von Weinert-Modellbau und der MIBA-Redaktion

Das übliche bunte Gewusel mit ach so vielen Details, tausendmal déjà vu.
Wirklich? Irgendwas ist anders. Schon noch recht bunt durch die farbenfrohen Schirme und Markisen, aber längst nicht so bunt, wie wir es gewöhnt sind. Und es ist erkennbar ein ländlicher Markt, er hat so was richtig Ländliches, das wird in diesem Detailfoto noch deutlicher:



Doch jetzt kommt das nach meiner Auffassung Entscheidende, der Kontext, oder, wenn man so will, das Umfeld:



Jetzt sehen wir diesen Wochenmarkt abseits der fast leeren Hauptstraße, alle Aktivität des Städchens ist auf dem Markt konzentriert, ansonsten herrscht Ruhe und Beschaulichkeit. Keine Hochzeitkutsche vor der Kirche, kein Unfall mit Polizei-Blaulicht, nur im Hinterhof des Postamtes wird Post in einen LKW geladen.

Kommen wir zum Thema Biergarten:


Irgendwas Besonderes hier? Nö. Eben. So wies Leben im Alltag ist. Das macht den Realismus aus. Aber auch hier gilt das beim Markt gesagte: Das Umfeld ist ganz ruhig und fast menschenleer, so wie ich es von Syke kenne.

So, einen hätten wir noch:



Eine Ladeszene am Güterbahnhof. Das spezielle hier ist die Lage der Ladestraße zwischen den Gleisen der DB und der Kleinbahn Hoya-Syke-Asendorf. Und das erklärt auch die vielen Schweine; es handelt sich nicht um irgendwelche Schweine, weil Schweine sich gut machen auf der Anlage, sondern um das so genannte Hoyaer Landschwein, das in der Gegend in großer Zahl gezüchtet wird. Die Trecker der Bauern mit ihren Viehanhängern geben der Szene weiteren Realismus, aber auch das ist alltäglich.

Rolf Weinerts Anlage ist in puncto Detaillierung ein Lehrstück, man könnte auch sagen ein Leerstück, denn meist ist es eine gewisse Leere, die eine stark belebte Szene relativiert und realistisch macht. Die Weinert-Anlage SYKE ist einerseits hochdetailliert und andererseits realistisch leer, das Auge kann sich ausruhen und mehr dem Eigentlichen zuwenden, das ist und bleibt die Eisenbahn.

Wie oft habe ich gelesen, dass es die gewissen Geschichten sind, die eine Anlage erzählt, was sie reizvoll macht. Habe ich nie unterschrieben. Diese Anlage erzählt keine Geschichten, reißt keine Gags, hat sie gar nicht nötig. Sie braucht weder Blaulicht noch Rotlicht. Sie zeigt unbesondere Alltagswelt. Und das finde ich wunderbar.

Begeisterte Grüße

Otto

* Falls es jemand noch nicht weiß: HULD ist ein MAPUD-Slangwort und bedeutet "Hingucker und liebevolle Details"

OOK
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25.02.2020 12:09
#2 RE: HULD à la Weinert
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Hallo Otto,

gibt es in dem Heft ein paar Sätze zu dem Thema wie Herr Weinert seine Anlage betreibt?
Die Verladeszene ist zwar toll, aber wenn die Wagen weg sind sieht es ein wenig seltsam aus!

Grüße Hubert

PS: Im Biergarten gibt es eine kleine regionale Unstimmigkeit!

"Sir, we are surrounded!" - "Perfect, so now we can attack in every direction!"

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25.02.2020 17:22 (zuletzt bearbeitet: 26.02.2020 13:26)
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#3 RE: HULD à la Weinert
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Hallo Otto und Hubert,

Die gezeigten Bilder sind wirklich extrem überzeugend. Mit vielen üblichen Modellbahn-Attraktionen wie übertriebenen Märkten, Hochzeiten oder (finde ich ganz schlimm) brennenden Häusern kann ich nämlich auch nichts anfangen.

Die Detaillierung und Ausgestaltung von Rolf Weinert werde ich so nie erreichen, das ist wirklich alles erstklassig...!

Der Einwand von Hubert stimmt, wenn die Wagen weg sind, wird das mit den Schweinen unpassend aussehen. Aber wie soll man das lösen?

Ich versuche bisher immer, z.B. Autos (oder bei meinen Epochen eher auch Pferdefuhrwerke) immer in einer Position aufzustellen, wo sie natürlicherweise stehen. Also Parkplatz, Parkbucht bzw. Straßenrand; maximal an einem Bahnübergang, aber auch das ist natürlich blöd, wenn der Zug durch ist.

Personen am liebsten sitzend oder einfach in einer kleinen Gruppe stehend, als ob sie sich unterhalten. Personen, die aussehen, als ob sie gehen, oder gerade eine andere Bewegung ausführen, machen irgendwie für mich auch keinen Sinn.

In dem Sinne finde ich den Biergarten besonders gut, weil da sitzen die Leute logischerweise wirklich, und voll kann es dort immer sein, egal ob gerade ein Zug kommt oder nicht ...

LG
Thomas


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25.02.2020 19:45
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#4 RE: HULD à la Weinert
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OOK

Die in den Sammelpferchen befindlichen Schweine werden schon von den Bauern angefahren, bevor die Waggons bereitgestellt sind. Das vermeidet wagenstandgeld, wenn es mit dem Verladen nicht so zügig klappt wie erhofft. Will sagen, dass ich hierin kein wirkliches Problem sehe.

Das von Thomas angeschnittene Thema Menschen in Bewegung und im Stillstand haben wir hier schon frher ausgiebig behandelt, meine ich mich zu erinnern.

Gruß

Otto

OOK
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25.02.2020 23:00
#5 RE: HULD à la Weinert
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Der zweite Wagen von links wird allerdings aktiv beladen,
und beim rechts darauf folgenden ist immerhin die Übergangsbrücke
bereits eingesetzt und mit Stroh ausgelegt.
Außerdem sind an den Verschlagwagen einige Ladeklappen geöffnet.
Ich glaube nicht, daß diese Wagen bewegt werden...

Gruß
Alex


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26.02.2020 09:16 (zuletzt bearbeitet: 26.02.2020 09:19)
#6 RE: HULD à la Weinert
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Hallo, ich frage mich jetzt natürlich, wo Hubert diese regionale Unstimmigkeit gefunden hat? Ist es der überdimensionale Bierkrug, der nicht so recht ins eher norddeutsche Umfeld passen will? Oder?

Ich muss jetzt mal meinen eigenen Biergarten auf Unstimmigkeiten checken.

Übrigens: Das Zusammensetzen dieser filigranen HaNull-Klappstühlchen ist ein echter Feinmotorik-Test für ältere Modellbahnenr!

Mit Hp1-Gruß - Helmut


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26.02.2020 13:30
avatar  memento
#7 RE: HULD à la Weinert
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Nunja, eventuell ist die Szene mit der Verladung natürlich auch einfach für den Fototermin genau so gestellt. Im Stummiforum nennen sie sowas gern eine "Besenszene"

Ist ja auch vollkommen legitim, nur so kann man eben solche perfekten Modell-Fotos erreichen.

Wäre es einfach eine normale Anlage, die in Betrieb ist, würde ich vermutlich wirklich die Szene etwas anders darstellen. "Stall" zusperren, die beiden Schweine auf dem Gang in den Stall würde ich wohl auch weglassen. Der / die Trecker bleiben natürlich stehen ...

Dann kann man sich vorstellen, daß die Schwein so ein paar Minuten oder ne halbe Stunde (?) da warten. Okay, wenn man nun den Zug einfahren läßt, kann man auch wieder nicht nachbilden, wie die Schweine in den Waggons veschwinden ... das sind einfach die Grenzen der Technik bei der Modellbahnerei...

LG
Thomas


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26.02.2020 13:44 (zuletzt bearbeitet: 26.02.2020 13:44)
#8 RE: HULD à la Weinert
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Zitat von Fdl Triptis im Beitrag #6
Ist es der überdimensionale Bierkrug, der nicht so recht ins eher norddeutsche Umfeld passen will? Oder?


Helmut, 100 Punkte!
Mir ist es jedenfalls nicht gelungen ein Bier > 0,5 Liter nördlich des Weißwurstäquators zu bekommen! Und ich habe mich da wahrlich bemüht!

Grüße Hubert

"Sir, we are surrounded!" - "Perfect, so now we can attack in every direction!"

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27.02.2020 08:08 (zuletzt bearbeitet: 27.02.2020 08:14)
#9 RE: HULD à la Weinert
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Ich besitze die Broschüre über Rolf Weinerts Anlage auch. Ehrlich gesagt habe ich mich auch zunächst an dem satt gesehen, was OOK die Akkuratesse nennt . Da stimmt halt alles, besonders natürlich im Bereich Gleise und Weichen. Und kein Signal, wo die Flügelstellung nicht hundertprozentig exakt ist. Ich weiß, wie schwierig das zu erreichen ist.
Diese Hundertpozentigkeit hat aber auch eine Schattenseite - jedenfalls nach meinem Geschmack. Ich finde, die ganze Anlage sieht aus "wie geleckt", falls ihr versteht, was ich meine. So piekfein ordentlich ist die Welt nicht, ich unterstelle mal in Syke auch nicht.

Das ist aber mein einziger Kritikpunkt. Ansonsten pflichte ich OOK voll bei: Die Anlage ist ein Leerstück hinsichtlich der Detaillierung. Da ist kein Stück mehr drauf, als für die Aussage notwendig. Da finde ich es redundant, darüber zu diskutieren, was mit den Schweinen wird, wenn die Waggons beladen und abgefahren sind.

Als ich den Marktplatz sah, dachte ich, ja, so kenne ich das, jedenfalls von früher. Dann hat OOK das große Bild mit der langen Strasse drunter gesetzt. Auf dem war mir der Marktplatz noch gar nicht aufgefallen. Da ist der Gegensatz zwischen Fülle und Leere in der Tat besonders deutlich. Mir ist jetzt auch noch klarer, was ich eigentlich schon wusste - und im diesem Forum meine ich auch schon benannt wurde - dass bei vielen Anlagenbildern in der Modellbahnpresse die gleichmäßige Bestreuselung mit "Details" den Eindruck nicht realistischer macht, sondern im Gegenteil unrealistischer.
Meint

Der Eisenhans


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27.02.2020 13:15
avatar  Boscho
#10 RE: HULD à la Weinert
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Bestreuselung mit "Details". Herrlitsch - schöner hätt' ich das auch nicht sagen konnen!


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28.02.2020 21:06
#11 RE: HULD à la Weinert
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Zitat von Boscho im Beitrag #10
Bestreuselung mit "Details". Herrlitsch - schöner hätt' ich das auch nicht sagen konnen!

Wenn ich gut illustrierte Eisenbahnbücher durchblättere, achte ich auch immer auf die "Detaillierung" und stelle immer wieder fest, dass man beim Vorbild wenig Sinn hat für die HULD-Sachen. Viele Szenen sind einfach ziemlich leer. Wie bei der Weinert-Anlage.

Meint

Der Eisenhans


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